freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
mißlichen Lage zu befreien. Auf einem Tablett brachte sie einen Imbiß.
»Heute darfst du auf deinem Zimmer essen«, sagte die Mutter, »danach machen wir deine Hausaufgaben fertig.«
Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück und nahmen wieder in der Sitzecke Platz.
»Wirklich ein braver Junge«, sagte der Kommissar.
»Ja. Aber leider sehr einsam«, sagte die Witwe und wurde traurig. »Eine Zeitlang hatten wir an ein Geschwisterchen gedacht,
doch dann ist es anders gekommen. Aber lassen wir dieses Thema. Wo waren wir stehengeblieben?«
»Bei den Problemen, die Sie Ende letzter Saison hatten.«
»Ach ja … Ich wollte sagen, daß wir mit Hängen und Würgen durch das Schuljahr gekommen waren, dann sagte ich meinem Mann,
daß ich ein solches Jahr nicht noch einmal mitmachen würde, daß er die Pfeife an den Nagel hängen solle. Ich wußte, welches
Opfer ich von ihm verlangte, aber ich wußte auch, daß ich mein Kind zu schützen hatte und wir allesamt eine längere Auszeit
brauchten.«
»Und er, wie hat er reagiert?«
»Anfangs versuchte er mich zu beruhigen. Er sagte, daß im nächsten Jahr alles vergessen wäre, daß die Fans heute schon nicht
mehr wüßten, was gestern war und so weiter. Als ich jedoch insistierte, meinte er, das Spielepfeifen sei sein Leben, er bat
mich, noch ein Jahr zu warten, weil zum Saisonende die Weltmeisterschaft stattfände und er gute Chancen auf eine Nominierung
hätte. Ich blieb hart, doch Tullio meinte, er bringe es nicht übers Herz, er sei seinen Vorgesetzten moralisch verpflichtet
und wolle nicht ausgerechnet jetzt zurücktreten, weil er sonst nur mit diesem umstrittenen Elfmeter in die Annalen eingehen
würde. Er wolle noch eine brillante Saison hinlegen, bei der WM pfeifen und |105| so zum Abschied ein Glanzlicht setzen, damit er danach vielleicht eine Stellung im Profifußball finden könne.«
Die Witwe hielt inne, um sich nachzuschenken. Marco Luciani lehnte mit einer stummen Geste ab.
»Ich verstand meinen Mann. Ich verstand seine Beweggründe, aber sie schienen mir weniger wichtig als das Bedürfnis, meinen
Sohn, und auch mich, zu schützen. Wir hatten um seiner Karriere willen auf vieles verzichtet, und nun schien mir der Augenblick
gekommen, in dem er sich bei uns revanchieren sollte.«
Sie hob den Blick und hoffte auf ein Zeichen der Zustimmung, des Einvernehmens. Marco Luciani machte eine Bewegung mit dem
Kopf, die als solches gelten konnte.
»Damals schien mein Mann ein Einsehen zu haben. Er sagte, er würde mit seinen Vorgesetzten sprechen und darum bitten, daß
er zurücktreten dürfe.«
»Darum mußte er bitten? Hätte er es nicht einfach bekanntgeben können, Punktum?«
»Dasselbe habe ich ihn auch gefragt. Er konnte mir darauf keine überzeugende Antwort geben, und ich dachte, er wolle Zeit
gewinnen. Am Ende ist er, wie Sie sehen, doch nicht zurückgetreten. Er sagte, er könne nicht, aus einer ganzen Reihe von Gründen.
Aber ich spürte, daß er es nicht wollte, und sagte ihm, daß es zwischen uns vorbei sei. Wir haben nicht sofort die Konsequenzen
gezogen, weil wir den Jungen ganz allmählich darauf vorbereiten wollten, aber de facto lebten wir getrennt unter einem Dach.
Und dann, letzten Samstag …« Sie brach ab.
»Ja?«
»… Samstag, als er nach Genua fuhr, sagte ich, er solle nicht wiederkommen. Es war sinnlos, die Sache noch länger aufzuschieben.
Für ihn war das ein herber Schlag, er hat mich zigmal angerufen. Noch vor dem Spiel hat er versucht mich umzustimmen, aber
ich hatte meine Entscheidung |106| getroffen. Ich habe ihm den Hörer ins Gesicht geknallt. Freilich, wenn ich mir hätte vorstellen können …«
»Das heißt, Sie haben ihn Sonntag kurz vor dem Spiel gesprochen … und dann?«
»Was dann?«
»Haben Sie nicht zufällig auch in der Halbzeitpause telefoniert?«
Die Witwe zeigte sich erstaunt: »In der Pause? Nein, abgesehen davon, daß ich verstimmt war – ich hätte ihn nie in der Halbzeitpause
gestört.«
Der Kommissar prägte sich diese Einzelheiten genau ein.
»Folglich glauben Sie«, setzte er neu an, »daß Ihr Gatte sich umgebracht hat, weil Sie sich trennen wollten?«
Im Ton der Frage schwang ein gewisser Zweifel mit, und die Witwe verkrampfte sich sofort.
»Das scheint Ihnen kein guter Grund zu sein, nicht wahr?, sich meinetwegen das Leben zu nehmen …«
»Das habe ich nicht gesagt, gnädige Frau.«
»Aber gedacht. Und sicher wäre es für jemanden wie meinen Mann –
Weitere Kostenlose Bücher