freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
und praktisch alle Leute befragt, die zum Tatzeitpunkt |145| in den Kabinen waren: Spieler, Zeugwarte, noch einmal den Hausmeister und die Ordnungskräfte der Heimmannschaft. »Nichts Außergewöhnliches«,
hatte Giampieri auf die Begleitnote geschrieben. Marco Luciani wollte die Akte schon zuklappen und ungelesen weglegen. Dann
holte er tief Luft, steckte die Kappe des Kugelschreibers in den Mund und begann, die Protokolle Wort für Wort nach einem
noch so kleinen Hinweis abzusuchen. Er würde gewissenhaft und genau werden wie kein zweiter, bei der Arbeit und auf dem Tennisplatz.
Nun war Schluß mit den Luftschlössern, den genialen Eingebungen, den Improvisationen. Er mußte besser planen, Fragen vorbereiten
und die Gegner genau studieren. Er machte eine Weile weiter, er gähnte zwar ununterbrochen, riß sich aber zusammen. Am deprimierendsten
waren die Aussagen der Fußballer, eine Litanei von »Ich weiß nicht«, »Ich erinnere mich nicht«, »Ich habe nichts gesehen«,
dazwischen eine Reihe vorgefertigter Phrasen. Wenn Calabrò die Sprache auf Korruption brachte, auf umstrittene Schiedsrichterentscheidungen,
ver- und gekaufte Spiele, dann ging die Klappe endgültig runter. Nicht nur bei Rebuffos Spielern, auch bei den anderen. Sicher
waren sie die letzten, die sich um ihre Spielwiese mit Verträgen von fünf bis zehn Millionen Euro jährlich bringen wollten.
Gegen halb sechs kam Roberto Valle in Lucianis Büro. Obwohl er in Zivil war, roch man den Digos-Agenten 1 einen Kilometer gegen den Wind. Er trug einen blauen Anzug , dazu eine Krawatte, die nicht zum Hemd paßte.
»Hallo Marco, wie geht’s?«
»Ganz gut, und dir?«
»Ach, ich habe es satt, den Zoowärter zu spielen. Die Fußballfans sind einfach Tiere. Ich kann es gar nicht erwarten, |146| mal wieder so einen schönen Ausflug nach Kuba zu machen. Aber diesmal bleibe ich mindestens sechs Monate. Falls du verstehst,
was ich meine«, sagte er und deutete dabei einen Macarena-Tanz an.
»Was hast du denn da Schönes für mich?«
Valle hatte ein Bündel Briefe in der Hand, die er dem Kommissar mit sorgenvoller Miene reichte: »Es sind noch mehr Drohbriefe
gekommen.«
»Bestens. Die kommen gleich zu den Akten«, sagte Marco Luciani, wobei er die Briefe nahm und neben den Korb mit dem Altpapier
legte.
Valle hielt ihn zurück. »Warte mal. Lies sie vorher. Vier oder fünf sind vollkommen bescheuert, aber einer scheint ernst zu
sein, da ist größte Vorsicht geboten.«
Der Kommissar blätterte sie eilig durch. Er haßte anonyme Briefe, sie lösten dasselbe Gefühl in ihm aus, wie wenn man nach
Hause kam und feststellte, daß Einbrecher die Schubkästen durchwühlt hatten: das Gefühl, daß jemand alles über einen weiß,
weil er in den intimsten Geheimnissen hat herumschnüffeln können, während wir nichts von ihm kennen, nicht einmal sein Gesicht.
In zwei Briefen wurde behauptet, gegen Rebuffos Mannschaft sei eine Verschwörung im Gang; die Journalisten wurden der Parteilichkeit
bezichtigt und bedroht, ebenso die Polizei, die angeblich von den anderen Mannschaften gedungen sei. Die Briefe hatten einen
ähnlichen Inhalt, waren beide mit dem Computer geschrieben, im gepflegten Italienisch halbintellektueller Fans, die offenkundig
nach einer Triebabfuhr suchten und ihre Drohungen sicher nicht wahr machen würden. In zwei anderen Briefen standen Sachen
wie: »Ihr werdet alle sterben, ihr Drecksbullen«, außerdem beteten sie Sprechchöre der Fans und Todesdrohungen nach. Sie waren
aus ausgeschnittenen Zeitungslettern zusammengesetzt, wie in einem Agatha-Christie-Krimi. |147| Luciani heftete sie innerlich sofort unter der Rubrik »Schwachsinn« ab.
Der letzte Brief war handgeschrieben, allerdings mit Schablone, damit kein Graphologe ihn analysieren konnte. Ein ähnlicher
war bereits am Dienstag eingegangen, mit dem schlichten Inhalt: »Passen Sie auf, Kommissar Luciani, lassen Sie die Selbstmörder
in Ruhe.« Der neue Brief wiederholte wortwörtlich diesen Satz und fügte an: »Wir wissen, wo du bist.«
Roberto Valle wartete, bis Luciani ihn gelesen hatte. »Genauso wie der von neulich.«
»Ja, ich erinnere mich. Die Buchstabenschablone macht immer einen starken Eindruck.«
»An deiner Stelle würde ich ihn nicht auf die leichte Schulter nehmen. Läufst du immer noch ohne Waffe herum?«
»Sicher.«
»Meinst du nicht, daß …«
»Willst du meine Meinung hören: Keine Waffe, außer im Dienst und in
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