freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
zusammenschieben, stieß aber gegen den Kaffeebecher, dessen Inhalt sich über Schreibtisch und Fußboden ergoß.
»Scheiße.«
Er warf wahllos einige Blätter auf die Lache, um sie aufzusaugen, und hoffte, daß sie nicht wichtig waren. Dafür wird Iannece
büßen, dachte er. Er knüllte das Papier zu einer feuchten braunen Kugel zusammen, quetschte sie irgendwie in den Mülleimer,
saute sich dabei die Hände ein, die er wiederum an den anonymen Drohbriefen abwischte. Als er sich wieder setzte, wagte er
nicht, sie anzusehen. »Entschuldigen Sie«, sagte er, »das ist heute nicht mein Tag.«
Sie hatte es geschafft, ernst zu bleiben. »Ich bitte Sie, Herr Kommissar. Das muß für Sie eine brutale Woche sein, ein Nervenkrieg.«
Marco Luciani dankte ihr im stillen, daß sie die peinliche Situation überspielt hatte. Was für eine jämmerliche Figur er abgegeben
hatte, schlimmer als ein pubertierender Tölpel! Und wer war die Dame schließlich schon? Lediglich eine der sensationellsten
Schönheiten, die ihm je über den Weg gelaufen waren. Er wagte noch einen verstohlenen Blick – ihre Mimik verriet keine Spur
von Ironie, nicht einmal Mitleid. Vielleicht konnte er wieder Boden gut machen. Sie hatte ihn in einem Moment der Schwäche,
der Hilflosigkeit erwischt. Er hatte wenig geschlafen, sich nur mit Hilfe von Kaffee auf den Beinen gehalten, aber der Schönheit
konnte man sich nicht stellen, wenn man mental nicht vorbereitet war. Jetzt würde er allerdings wieder kühl, distanziert und
selbstsicher werden. Er holte tief Luft und zwang sich, ihr direkt in die Augen zu sehen, wie einer Gleichgestellten, |151| oder besser: wie ein Vorgesetzter seinem Untergebenen. Danach würde er noch einmal von vorn beginnen.
Die Versicherungsdetektivin saß auf der Stuhlkante vor dem Schreibtisch. Sie hatte ihre langen Beine übereinandergeschlagen
und ihre schwarze Lederhandtasche neben sich gestellt. Der zweite Eindruck war, selbst ohne den Überraschungseffekt, noch
verheerender als der erste: Die grasgrünen Augen strahlten ausdrucksvoll. Der Mund war leuchtend rot, die Fesseln, auf die
er blitzschnell einen Blick warf, schmal und elegant. Sie konnte nicht älter als achtundzwanzig sein.
»Was kann ich für Sie tun, Frau Doktor …«
»Lanni. Sofia Lanni.«
»Marco Luciani«, sagte er, was er sofort bereute. Sie wußte natürlich, wer er war.
»Ich weiß, daß Sie mit dem Fall Ferretti betraut sind, Herr Kommissar. Auch ich widme mich mit meinen bescheidenen Mitteln
diesem Fall, und zwar im Auftrag der Hunch-Gruppe, bei denen Herr Ferretti vor zwei Jahren eine Lebensversicherung abgeschlossen
hat.« Sie lehnte sich ein wenig zur Seite, um ihre Handtasche aufzunehmen. Das Dekolleté in Kostüm und elfenbeinfarbener Bluse
ließ für einen Moment den BH aus heller Spitze erahnen. War das Absicht? Luciani verneinte das innerlich. Sofia Lanni wirkte
nicht, als wäre sie auf solche Methoden angewiesen. Oder zumindest wollte er nicht, daß sie es war.
»Bitte, das hier ist eine Kopie der Police. Die ist natürlich streng vertraulich, aber in Ihrem Fall … Ich denke, diese Information
könnte Ihnen von Nutzen sein, vor allem wenn man bedenkt, daß Sie – wenn ich nicht irre – in erster Linie klären müssen, ob
es sich um Selbstmord oder Mord …«
Iannece platzte, ohne zu klopfen, zur Tür herein.
»Kommissar! Kommissar!« Er war aufgeregt, als ob das ganze Gebäude in Flammen stünde.
|152| Marco Luciani verfluchte Iannece innerlich bis ins zwanzigste Glied.
»Was ist denn los, Iannece?« fragte er in möglichst ruhigem Ton.
»Herr Kommissar, ein Notfall! Höchste Dringlichkeit. Wir müssen sofort los.«
»Beruhige dich, Iannece.
Bist du sicher
, daß es so gravierend ist?« Er versuchte mit einem Augenzwinkern, seine Aufmerksamkeit auf die Besucherin zu lenken. Iannece
sollte kapieren, daß das Theater nicht mehr nötig war.
Iannece deutete dies auf seine Weise und wendete sich direkt an Sofia Lanni: »Glauben Sie mir, es geht um Leben und Tod, wir
müssen da sofort hin.«
Sie fixierte den Kommissar, ein wenig verstört.
»Hör mal, Iannece, ich hatte dir gesagt …«
»Ich weiß, was Sie mir gesagt hatten, Herr Kommissar, aber es ist wirklich die Hölle los.«
Marco Luciani sah den fragenden Blick der Frau und merkte, daß Iannece die Sache nur noch schlimmer machen würde, wenn er
ihn weiterreden ließ.
»Okay, okay. Hol schon mal das Auto, ich komme sofort.«
Sie
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