FreeBook Nomenclatura - Leipzig in Angst
ein bisschen Beistand. Stehen möcht ich aber nicht ...“
Hanni Polterer, die beim Reden säuberlich S und T trennte, sah den kräftigen Bayern abwartend an.
Der fühlte sich überrumpelt. „Ja, ja, aber sicher, folgen’s mir ... Ähm Fräulein Marquardt, verschließen Sie die Tür und kommen Sie dann in mein Büro.“
Im Zimmer des Amtsleiters ließ sich Hanni Polterer auf einem Stuhl nieder und holte einen winzigen Notizblock und einen Bleistift heraus.
Der Bayer setzte sich an seinen überdimensionalen Schreibtisch.
Hinrich lief im Raum herum, betrachtete Plakate, Ordnerrücken, einfach alles. Er wartete, dass die Sekretärin erscheinen würde.
Die tauchte – immer noch mit roten Wangen – auf. „Darf ich Ihnen einen Kaffee bringen?“
Der Amtsleiter winkte sofort ab, die Polterer und Hinrich sagten gleichzeitig „Ja, bitte“.
„Haben Sie auch einen Namen?“, fragte Hinrich jetzt, ohne den Bayern anzusehen.
„Oh, Entschuldigung“, brummelte der und strich sich dabei immer wieder durch den gepflegten Vollbart. „Dr. Hansi Gutmeyer ... – Sie sind hier wegen ...“
Hinrich baute sich direkt neben dem Schreibtisch auf, nahm einen Kugelschreiber, der dort lag und klopfte damit ununterbrochen auf die Tischplatte. Manchmal nur ganz leicht, dann wieder stärker. „... wegen vier verschwundenen Jungen.“
Gutmeyer machte einen selbstsicheren Eindruck, er brachte es auf eine recht ordentliche und gut durchtrainierte Statur, seine Haut war solarsonnengebräunt, nur an den Schläfen färbten sich einige Haare silbergrau. Er trug einen korrekten Anzug, der Binder war sorgfältig geknotet, die Bügelfalten millimetergenau und messerscharf. Sein Gesicht wurde von einem gestutzten Schnauzbart geprägt, die Fingernägel ordentlich geschnitten, in den Schuhen spiegelte sich das Neonlicht des Büros. Ebenso korrekt sah es im Zimmer aus. Kein Vergleich zu Hinrichs Büro.
„Und Sie meinen, dass mein Amt Ihnen helfen kann?“
„Muss“, beantwortete Hinrich die Frage. „Ich gehe davon aus, dass Sie die Berichte der Medien verfolgt haben. Denken Sie mal nach: Der Entführer kennt die Vornamen, die Geburtsdaten, das Geschlecht und den angemeldeten Wohnort der Opfer. Es handelt sich um Kinder, die in kaum einer Datei registriert sind, abgesehen von den Standesämtern, die Geburtsurkunden ausstellten. Für jeden der vier Jungen war jeweils ein anderes Standesamt zuständig. Leipzig ist eine große Stadt, wir suchen im Weltall nach einem Atom. Doch wir ahnen, wo das Atom bereits war. Nämlich hier, in Ihrem Amt!“ Hinrich klopfte auf den Schreibtisch. Um die Lage wieder etwas zu beruhigen, fragte er: „Wie viele Geburten gibt es in Leipzig pro Jahr?“
„Rund viertausend, pro Jahr in den letzten Jahren.“
„Und Leipzig ist in der Rangfolge der großen deutschen Städte auf welchem Platz?“
„Platz dreizehn. Vor Nürnberg und hinter Duisburg und Hannover.“
„Worin haben Sie promoviert?“
„Mathematik.“
„Dann können Sie mit Zahlen zweifellos gut umgehen. Auch Sie wollen doch, dass Leipzig endlich 500.000 Einwohner hat?“
Dr. Gutmeyer nickte. „Das will wohl jeder.“
„Dann helfen Sie uns, dass den vier gesuchten Einwohnern nichts passiert. – Verstehen Sie, was ich meine?“
Wieder nickte der Bayer, seine Unruhe wurde stärker. „Sie verdächtigen also ganz direkt einen Mitarbeiter meines Amtes?“
„Nee, nee. Nicht ganz so direkt. Es kann sein, dass der Gesuchte hier beschäftigt war. Und zwar genau genommen in den letzten zwei Monaten.“
Fräulein Marquardt klopfte umständlich an, obwohl sie in den Händen ein Tablett hielt.
„Geben Sie mir auch einen Kaffee“, legte sich Gutmeyer fest. „Die Daten, von denen Sie sprechen, liegen nicht offen herum. Es gibt nur drei Kollegen, die da ran kommen. Und ich natürlich.“
„Um so besser“, mischte sich nun Hanni Polterer ein, die bisher schweigend dagesessen hatte. „Gibt es einen Nachweis, ob fremde Personen, Praktikanten, Auszubildende, Wahlhelfer, was weiß ich noch, mit den Daten in Berührung kamen?“
Gutmeyer zog die Augenbrauen hoch. „Ja, das gibt es, natürlich.“ Er verschwand hinter seinem Bildschirm, während die Kommissare Kaffee schlürften.
„Fräulein Marquardt, holen Sie mal die Blätter aus dem Etagendrucker“, sagte der Amtsleiter nach einem Weilchen.
Die junge Sekretärin stürzte aus dem Zimmer und legte kurze Zeit später zwei Blätter auf den blanken Schreibtisch ihres Chefs.
Hinrich und
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