freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
blinzelte, und die unheimliche Ähnlichkeit mit Urd war verschwunden, wenn auch nicht so vollkommen, wie er es sich gewünscht hätte. Vor ihm lag jetzt wieder nur eine blutende, halb bewusstlose Frau. Sein Schlag hatte sie mehrere Zähne gekostet und ihr möglicherweise das Jochbein und mit Sicherheit den Kiefer gebrochen. Als sie etwas zu sagen versuchte, kam nur ein unartikuliertes Stöhnen über ihre Lippen.
Sie lebte, aber es würde schwer werden, irgendetwas von ihr zu erfahren. Mit einem zerschmetterten Kiefer redete es sich nicht gut.
Thor erschrak vor seinem eigenen Gedanken. Wahr oder nicht, es hätte nicht sein allererster sein sollen, und es spielte auch keine Rolle, dass sie ihn umgekehrt ohne zu zögern getötet hätte. Er hatte diese Frau, die auf eine schreckliche Weise immer noch wie Urds Schwester aussah, schwer verletzt und ihr Schmerzen zugefügt. Er musste sich ja nicht gleich schuldig fühlen, aber ein Hauch von Mitleid wäre vielleicht angebracht gewesen.
Ein Gefühl wie Verachtung streifte seine Gedanken und erlosch wieder, und Sverig murmelte: »Wer, bei Hels fauligen Brüsten, ist das? Thor, wer ist diese Frau? Das ist doch unmöglich!«
»Woher soll ich das wissen?«
Sverig ließ sich ebenfalls auf ein Knie sinken und wollte die Hand nach der Kriegerin ausstrecken, doch Thor schlug seinen Arm zur Seite.
Als er es tat, öffnete die Kriegerin die Augen, und zweierlei geschah. Thor las in ihrem Blick, dass sie ihn nicht einfach nur ansah, sondern ihn erkannte , und noch während er sich fragte, ob das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, bewegte sie den rechten Arm und beide Beine gleichzeitig, und das mit einer Schnelligkeit, die angesichts ihrer schweren Verletzung geradezu unglaublich war: den rechten Arm, um blitzschnell nach seinem Gesicht zu stoßen und ihm Zeige- und Mittelfinger in die Augen zu rammen, die Beine, um die Knie an den Leib zu ziehen und Sverig dann beide Füße gegen die Brust zu stoßen. Thor kippte mit einem keuchenden Schmerzlaut zur Seite und sah für einen Moment nichts anderes als rote und gelbe Blitze, aber er konnte hören, dass Sverig haltlos davongeschleudert wurde. Metall schepperte, dann vernahm er etwas wie mühsam schleppende Schritte.
Unter Aufbietung all seiner Willenskraft stemmte er sich auf die Knie, zwang seine Augenlider auseinander und sah kaum mehr als tanzende Lichtblitze, überlagert von hellroten Schlieren, die nichts anderes waren als sein eigenes Blut. Es war der Kriegerin nicht gelungen, ihm die Augen auszustechen, aber sie hatte ihn verletzt, möglicherweise schwer.
Immerhin konnte er sehen, dass die Kriegerin das eigentlich Unmögliche geschafft hatte und nicht nur wieder auf den Beinen, sondern sogar schon bei der Tür war. Hätte sie Sverig auch nur eine Winzigkeit härter getroffen, wäre sie vielleicht sogar entkommen. Sverig taumelte jedoch schon wieder auf sie zu, nicht mehr als leicht benommen – und sehr wütend –, und einer der Toten blockierte die Tür, sodass sie nicht schnell genug hinauskam.
Sie vergeudete auch keine Zeit mit einem zweiten Versuch, sondern versetzte ihm einen Stoß, der ihn haltlos gegen den Kamin stolpern ließ. Der Saum seines Mantels fing Feuer, und die Kriegerin fuhr herum und eilte humpelnd an ihm vorbei in die einzige Richtung, die ihr noch blieb: durch die Verbindungstür und in den angrenzenden Turm.
Thor versuchte nach ihr zu greifen, aber sie entwischte ihmund war im nächsten Moment verschwunden. Thor hörte ihre ungleich scharrenden Schritte auf der Treppe. Mühsam fuhr er sich mit den Fingerspitzen über die Augen und versuchte Schmerzen und wirbelnde Schleier vor seinem Blick wegzublinzeln, was ihm allerdings nicht wirklich gelang.
Er verschwendete keine Zeit damit, nach dem Hammer zu suchen, sondern machte sich mit zusammengebissenen Zähnen an die Verfolgung, wobei er sich mit der Linken an der vereisten Wand entlangtasten musste. Seine Augen schmerzten nach wie vor heftig, und er konnte immer noch nicht richtig sehen, aber irgendetwas sagte ihm, dass er sich besser beeilen sollte, die flüchtende Kriegerin einzuholen – auch wenn er sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wohin sie wollte. Dort oben war rein gar nichts. Und schon gar kein Fluchtweg.
Trotz allem war er noch geistesgegenwärtig genug, nicht blindlings auf die Aussichtsplattform hinauszustürmen, sondern einen raschen Endspurt einzulegen und mit einem gestreckten Satz und einer anschließenden
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