freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
durchaus echt, doch in ihrem Blick war nach wie vor etwas Forschendes und vielleicht immer noch eine Spur von Misstrauen. Sie ahnte, dass er etwas vor ihr verbarg.
Schließlich gab sich Thor einen Ruck, ließ sich neben ihr auf der Bettkante nieder und streckte die Hand nach dem Säugling aus. Aber er berührte sein winziges Gesichtchen nicht, schon aus Furcht, es mit seinen groben Fingern zu verletzen. Ein Gefühl von tiefer Zärtlichkeit machte sich in ihm breit.
»Lifthrasil?«, fragte er.
»Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich ihr diesen Namen gegeben habe, ohne dich zu fragen«, sagte Urd. »Wäre es ein Junge gewesen, dann hätte ich dir die Wahl überlassen, aber so …«
»Ja?«, fragte er, als sie nicht weitersprach, sondern nun plötzlich ihrerseits unsicher wirkte und seinem Blick auswich.
»Ich hatte dir einen Sohn versprochen«, fuhr sie fort. »Ich war mir nicht sicher, ob du eine Tochter annehmen würdest.«
Thor verstand im ersten Moment nicht einmal, was sie damit meinte. »Was … redest du da für einen Unsinn?«, brachte er mühsam hervor. »Es spielt doch überhaupt keine Rolle, ob –«
Urd unterbrach ihn, indem sie kaum sichtbar den Kopf schüttelte und sich zugleich mit einem auffordernden Blick an Elenia wandte. »Nimm deine kleine Schwester und bring sie in ihr Bett«, sagte sie. »Und bleib bei ihr. Ich möchte, dass dusie mir zurückbringst, wenn sie gefüttert werden muss. Aber so lange lasst uns allein. Thor und ich haben etwas zu besprechen.«
Elenia nahm den Säugling aus den Armen ihrer Mutter und wandte sich fast hastig um, und sie wich Thors Blick auch jetzt wieder aus, und das auf eine ganz bestimmte Art, die seine Verwirrung nur noch steigerte – als wüsste sie etwas, von dem er nichts ahnte, und hätte Angst, er könnte die Wahrheit in ihren Augen lesen, wenn er sie auch nur ein einziges Mal ansah. Konnte es sein, dachte er beunruhigt, dass er vielleicht der Einzige hier war, der etwas Bestimmtes nicht wusste; etwas sehr Wichtiges?
Elenia ging, und nach einem zweiten, deutlich schärferen Blick seiner Mutter wandte sich auch Lif um und folgte ihr. Urd setzte sich nur noch einmal gerader auf und sah die Dunkelheit unter der Tür an, und erst nach einigen weiteren Sekunden verschwand auch der Schatten, der lautlos dahinter gestanden hatte.
Gundri, dachte er. Konnte es sein, dass Gundri …?
Nein. Von allen unsinnigen Gedanken, die er bisher gedacht hatte, war das mit Abstand der unsinnigste.
»Lifthrasil wäre der Name von Lifs Bruder gewesen, wäre es ein Knabe geworden«, begann Urd. »Ihr Vater … nicht Lasse, der Vater der Zwillinge …« Thor nickte. »Er hatte sich zwei Söhne gewünscht.« Urds Stimme wurde leiser, und er konnte ihr ansehen, wie mit den Worten auch die Erinnerung zurückkam und mit ihnen der Schmerz einer tiefen Wunde, die niemals wirklich ganz heilen würde. Er wollte etwas sagen, spürte aber, wie falsch jedes Wort nur sein konnte, und griff stattdessen nach ihrer Hand. Ihre Haut fühlte sich kalt und trocken an, und er konnte spüren, wie schwer und hart ihr Herz schlug.
»Wir wussten, dass es Zwillinge werden«, fuhr sie fort. »Eine Frau spürt so etwas. Ich wusste es schon, bevor ich das erste Mal gespürt habe, dass zwei Herzen in mir schlugen.«
»Und ihr Vater war sicher, dass es zwei Knaben werden.«
»Das war sein Wunsch. Lif und Lifthrasil, die beiden Brüder, die das Schicksal der Welt verändern sollten.«
Thor blickte fragend, aber sie sah ihn nur ernst an und nickte dann bedächtig, um ihre Worte noch einmal zu bekräftigen.
»Er hat es mir nie wirklich erklärt, aber ich glaube, es hatte etwas mit seinem Glauben zu tun. Für ihn war es … einfach nicht denkbar, dass es etwas anderes als zwei Knaben werden könnten.«
»Aber das zweite Kind war ein Mädchen,«
»Lif kam als Erster auf die Welt«, bestätigte sie traurig. »Er war überglücklich, vielleicht zum allerersten Mal überhaupt, solange ich ihn kannte. Aber eine halbe Stunde danach kam Elenia, und er … .« Ihre Stimme brach, und nun hielt sie auch seinem Blick nicht mehr länger stand. Ihre Augen blieben trocken, aber vielleicht brauchte es nicht unbedingt Tränen, um zu weinen.
»Er wollte sie töten«, vermutete Thor.
»Er hätte es getan, hätte ich mich nicht über sie geworfen«, flüsterte Urd. »Er hätte sein Schwert schon durch mich hindurchstoßen müssen, um sie zu treffen, und für einen Moment …« Sie atmete hörbar ein.
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