freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
dabei nicht einzuschlafen, schien noch genauso dazustehen wie gestern, und auch die beiden anderen waren wieder in ihr Runenspiel vertieft, so als wäre er nur wenige Augenblicke weg gewesen und nicht anderthalb Tage. Thor war sogar sicher, dass es sich um dieselben Männer handelte.
Nicht zum ersten Mal, seit er wieder in sein Versteck vom Vortag zurückgekehrt war, um das Haus zu beobachten, hob er den Blick, um den Himmel abzusuchen. Es war beinahe dunkel, aber die zahllosen leuchtenden Sterne und der fast zur Gänze gerundete Mond sorgten nicht nur für unwillkommene Helligkeit, sondern zeigten ihm auch, dass die Nacht vollkommen wolkenlos war. Außerdem war es nahezu windstill. Was den Sturm anging, den er Barend versprochen hatte, so schien ihn sein Gefühl getäuscht zu haben.
Vielleicht brauchte er ihn ja auch einfach nur nicht.
Er stellte fest, dass es Zeit war, und schlug die Kapuze seines schwarzen Mantels hoch, bevor er sein Versteck verließ und mit weit nach vorne gebeugten Schultern das Haus und die drei Wachtposten vor der einzigen Tür ansteuerte.
Ausgerechnet der Posten, der im Halbschlaf dazustehen schien, bemerkte ihn zuerst und legte misstrauisch den Kopf auf die Seite. Die beiden anderen unterbrachen nicht einmal ihr Spiel.
»Was willst du hier?«, fragte der Mann mit dem Speer. »Keiner darf sich dem Haus nähern!«
»Ich schon«, antwortete Thor. Er wusste, dass es töricht war, aber konnte es sich einfach nicht verkneifen, hinzuzufügen: »Ich brauch euren Gefangenen, weißt du?«
Die Köpfe der beiden Spielenden flogen fast gleichzeitig hoch in den Nacken, und Thor trat mit einem raschen Schritt zwischen den beiden hindurch und versetzte dem dritten einen Fausthieb, der ihn auf der Stelle bewusstlos zusammenbrechen ließ. Noch während er fiel, wirbelte Thor herum, ließ sich zugleich in die Hocke sinken und stieß beide Arme wuchtig nach vorne. Genau wie er es gehofft hatte, versuchten die beiden Männer gleichzeitig aufzustehen, und seine beiden Fäuste trafen ihr Ziel. Vielleicht nicht so perfekt, wie er es beabsichtigt hatte. Einen der Männer erwischte er am Hinterkopf, den anderen nur an der Schläfe, aber das Ergebnis war bei beiden dasselbe: Siewurden nach vorn geschleudert und waren bewusstlos, bevor sie auf den Boden schlugen.
Thor überzeugte sich mit einem raschen Blick davon, dass niemand etwas von dem blitzartigen Kampf bemerkt hatte, dann schleifte er die beiden reglosen Männer ins Haus, kehrte noch einmal zurück, um auch den dritten Krieger zu holen, und schließlich auch noch ein drittes Mal, um die Waffen und Spielsteine der Männer einzusammeln. Erst danach schloss er die Tür, riss den Mantel eines der Männer in Streifen und fesselte die drei Bewusstlosen damit nicht nur, sondern legte ihnen auch noch Knebel an; wobei er sorgsam darauf achtete, dass sie nicht daran ersticken konnten. Erst danach ging er in den hinteren Teil des Gebäudes und zu dem Gefangenen, der dort angekettet war. Noch bevor er ihn erreichte, hörte er ein Rascheln und das leise Klimpern von Metall, dann sagte Barend: »Das war eine hervorragende Arbeit, mein Freund. Gundri hat nicht übertrieben. Ich glaube zwar immer noch nicht, dass du ein leibhaftiger Gott bist, der aus Walhall herabgestiegen ist, aber du kämpfst zumindest wie ein solcher.«
»Hat sie das erzählt?«, fragte Thor. Sosehr er sich auch anstrengte, nahmen selbst seine scharfen Augen nur einen verwaschenen Schatten an der Stelle wahr, von wo Barends Stimme erklang.
»Das und noch eine Menge mehr.« Barend hustete, und es dauerte eine Weile, bis er wieder genug zu Atem gekommen war, um weitersprechen zu können. »Du scheinst der Kleinen ja gehörig den Kopf verdreht zu haben.«
»Hat sie dir auch ausgerichtet, worum ich sie gebeten habe?« Thor ließ sich in die Hocke sinken, tastete nach der eisernen Fußfessel des Kapitäns und brach sie mit einer kurzen Anstrengung entzwei. Das helle Geräusch, mit dem das Metall zersprang, schnitt wie ein Messer durch die nahezu vollkommene Dunkelheit.
»Ja, das hat sie.« Barend versuchte aufzustehen, sank mit einem scharfen Keuchen wieder zurück.
»Ich stütze dich«, sagte Thor. »Ich könnte dich tragen, aberdas wäre zu auffällig. Bjorn lässt den Hafen garantiert bewachen.«
»Und wenn?«, fragte Barend gepresst. »Nach dem, was ich gerade gesehen habe, habe ich keine Zweifel daran, dass du seine Männer ganz allein erschlagen könntest.«
Das war vielleicht sogar wahr.
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