freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
Gundri und ihrer Herrin vielleicht nicht ganz so glatt verlaufen war, wie sie ihn glauben machen wollte.
Lifthrasil gab ein Geräusch von sich, wie um sich zu beschweren, dass sie nicht seine volle Aufmerksamkeit hatte, und Thor sah wieder in ihr Gesicht hinab. Sofort war sie still, und auch er spürte wieder jenes Gefühl von Zufriedenheit und Zärtlichkeit, das ihn stets in Lifthrasils Nähe überkam. Fast ohne sein Zutun streckte er die Arme aus, um nach seiner Tochter zu greifen, bis die Kette der Bewegung ein abruptes Ende bereitete, und er konnte gerade noch den Impuls unterdrücken, einfach die Muskeln anzuspannen und sie zu zerreißen.
Vielleicht war das der Moment, in dem er endgültig begriff, dass sich etwas verändert hatte.
Noch vor wenigen Tagen hätte er diesem Wunsch weder widerstehen können noch wollen.
Bestürzt sah er Lifthrasil an, und sie erwiderte seinen Blick auch jetzt wieder ruhig und auf eine Art, die für ein so kleines Kind unangemessen schien, als hätte sie seine Gedanken gelesen und wollte ihm recht geben.
»Herr?«, fragte Gundri noch einmal. Offensichtlich zeichneten sich seine Gefühle deutlich auf seinem Gesicht ab. Aber er sah nur weiter Lifthrasil an. Er liebte seine Tochter noch immer über alles, und schon ihre bloße Nähe verschaffte ihm ein Gefühl des Wohlbefindens, das er gar zu lange vermisst hatte. Und doch war es anders geworden als noch vor wenigen Tagen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er tatsächlich an nichts anderes denken können als sie, ja, es war gewesen, als könne er nur in ihrer unmittelbaren Nähe überhaupt existieren.
Er musste an das denken, was Elenia behauptet hatte, und ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken. Was, wenn sie die Wahrheit gesagt hatte?
»Das reicht jetzt«, sagte der Mann an der Tür. »Du solltest ihm sein Balg zeigen, und jetzt hat er es gesehen. Komm!«
Der Zorn, der ihn nun erfüllte, war so übermächtig, dass er ihn nur noch mit letzter Kraft niederkämpfen konnte. Er nickte Gundri nur abgehackt zu, zu tun, was der Mann ihr befahl, und sie stand gehorsam auf. Dann aber ließ sie sich noch einmal in die Hocke sinken und beugte sich sogar vor, um ihm das Kind hinzuhalten.
»He!«, protestierte der Wächter.
»Heute Nacht«, flüsterte Gundri. »In drei Stunden! Haltet Euch bereit!«
»Was tust du da, verdammt?«, polterte der Wächter. »Du sollst ihm nicht nahe kommen, habe ich gesagt!«
Mit einem einzigen Schritt war er bei ihr, riss sie brutal am Arm in die Höhe und versetzte ihr einen Stoß, der sie gegen die Wand neben der Tür stolpern ließ. Thor hielt den Atem an, und erst sehr viel später sollte er sich fragen, ob der Krieger eigentlich gewusst hatte, in welcher Gefahr er sich befand. HätteGundri Lifthrasil fallen gelassen, dann hätte er seine Ketten zerrissen und den Mann getötet. Aber Gundri hielt das Kind fest, und die Kleine gab nicht einmal einen Laut von sich.
»Das ist jetzt genug!«, fauchte der Mann. »Raus hier!«
»Aber ich wollte ihm doch nur seine Tochter –«, begann Gundri, und der Krieger trat wütend auf sie zu und hob die Hand.
»Wenn du jemanden schlagen willst, warum versuchst du es nicht bei mir?«, sagte Thor ruhig.
Der Mann fuhr tatsächlich herum, und in seinen Augen blitzte es so hasserfüllt auf, dass Thor überzeugt war, er würde ganz genau das tun und seinen Zorn nun an ihm auslassen … allerdings nur so lange, bis sich ihre Blicke begegneten.
»Nein«, sagte er verächtlich. »An dir mache ich mir die Finger nicht schmutzig.«
»Du schlägst lieber Frauen«, vermutete Thor.
»Nein«, sagte der Krieger noch einmal. »Aber ich werde die Fackel halten, wenn sie dich verbrennen, Gott des Donners. Fühl dich nicht zu sicher.«
Er schien darauf zu warten, dass Thor noch einmal antwortete, zog dann eine verächtliche Grimasse und konnte der Versuchung nicht widerstehen, dicht vor seinen Füßen auszuspucken, bevor er sich herumdrehte und Gundri grob bei den Schultern ergriff, um sie hinauszuschieben.
23. Kapitel
A ls hätte es genügt, sich seines Ziels zu erinnern, kehrte sein Zeitgefühl zurück, kaum dass der Wächter ihn allein gelassen und die Tür wieder sorgsam hinter sich verschlossen hatte. So fiel es ihm nicht schwer, das genaue Verstreichen der Frist zu messen, von der Gundri gesprochen hatte.
Natürlich war es dennoch nur ein ungefährer Anhaltspunkt, denn was immer das Mädchen vorhatte, hing von so vielen Unwägbarkeiten ab, dass er
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