Freibeuter der Leidenschaft
nahe: gefährlich weit oben – so hoch, dass ein Sturz sie töten würde. Er fühlte sich hin und her gerissen. Er könnte versuchen, sie in der Takelage abzufangen und sie zwingen, wieder herunterzukommen, oder wieder auf Deck zurückkehren und sie auffangen, wenn sie fiel. Clive sprang zurück auf das Deck.
Sofort stand sein Fähnrich Clark neben ihm. „Fangen Sie sie auf, wenn sie fällt“, stieß er hervor.
Er sah, wie Amanda gegen den Wind ankämpfte, der so hoch oben weitaus stärker wehte. Der Sturm könnte sie mühelos nach unten werfen. Sie hatte die Segel am Hauptmast erreicht, aber der Bursche hing von einem der Quermasten und baumelte hin und her wie eine hilflose Puppe. Er glaubte nicht, dass der Junge sich noch lange halten konnte.
Amanda hielt inne, wartete offenbar darauf, wieder zu Kräften zu kommen.
Der Seemann, der oben hing, rief ihr etwas zu.
Dann begann Amanda, wieder gegen den Wind zu kämpfen und höher zu klettern. Langsam näherte sie sich dem Seemann, ihr schlanker Körper bewegte sich hin und her, als der Wind an ihr zerrte. Sie streckte dem Mann eine Hand entgegen, und Clive erstarrte. Er rechnete damit, dass sie losgerissen und jeden Moment davongeweht werden würde.
Der Seeman wollte die Rahe nicht loslassen.
Amanda rief ihm etwas zu, doch der Wind trug ihre Worte davon.
Sie hat den Dolch, ging es Clive durch den Kopf. „Amanda!“ Er legte die Hände um den Mund. „Schneiden Sie ein Tau durch – reichen Sie es ihm. Schneiden Sie es durch!“
Plötzlich griff Amanda nach ihrem Dolch und durchschnitt die Segeltaue. Sie warf eines davon dem Seemann zu. Er griff danach, und als er es fing, wusste Clive, dass ein Wunder geschehen war. Der Seemann ließ den Quermast los, hielt sich an dem Tau fest und glitt zu Boden. Clive wartete, bis die Männer seine Beine gepackt hatten und ihn herunterzogen, während seine Aufmerksamkeit Amanda galt, die begonnen hatte, nach unten zu klettern. Als sie endlich so nahe war, dass ihr ein Sturz zwar ein paar Knochen brechen, sie aber nicht umbringen konnte, sprang er in die Wanten und stieg rasch zu ihr hoch. Sie sah ihn und lächelte, nicht nur triumphierend, sondern auch verschmitzt.
Sie war erstaunlich. Clive griff nach ihr und packte sie mit einem Arm. „Lassen Sie los!“, rief er.
Willig gehorchte sie, und er zog sie an seinen Körper. Einen Moment lang hingen sie gemeinsam in den Segeln, hielt er Amanda sicher in seinen Armen. „Jesus.“ Mehr konnte er nicht sagen.
„Jesus“, sagte er noch einmal. Er glaubte nicht, dass er sich je davon erholt hätte, wäre sie zu Tode gekommen.
Mit der Wange an seiner Brust rief Amanda: „Der Junge?“
„Es geht ihm gut“, brüllte er. In diesem Moment bemerkte er, dass die Winde gefährlich zugenommen hatten und sie beide aus der Takelage mussten. „Wir müssen nach unten steigen“, sagte er zu ihr. „Halten Sie sich nur an mir fest und lassen Sie nicht los.“
Sie rief: „Ich kann allein absteigen!“
Den Teufel wirst du tun, dachte er. Vorsichtig stieg er nach unten, voller Angst, abzurutschen und sie fallenzulassen. Seine Männer erschienen, und er reichte sie in ihre wartenden Arme weiter. Dann sprang er zu Boden. „Jemand soll sie unter Deck bringen. Refft die Toppsegel!“, befahl er.
Amanda sah ihn an und packte ihn am Arm. „Lassen Sie mich bleiben“, sagte sie mit ruhiger Stimme. „Ich kann helfen. Ich glaube, ich habe es bewiesen.“
„Sie bleiben nicht an Deck!“, erklärte Clive fest.
„Ich habe dem Matrosen das Leben gerettet.“
„Das war heller Wahnsinn. Sie werden nach unten gehen zu den Kindern.“
„De Warenne. Ich schwöre, jedem Ihrer Befehle zu gehorchen. Bitte.“
Welche Frau, die bei klarem Verstand war, würde hier bei ihm sein und durch den Sturm segeln wollen? Nur die eine Frau, die ihr Leben riskierte für einen Matrosen, den sie nicht einmal kannte. Nie würde er vergessen, wie Amanda in die Takelage gestiegen war und ihr Leben für den Jungen aufs Spiel gesetzt hatte. Das war das Tapferste gewesen, was er je gesehen hatte. Zweifellos war sie die mutigste Frau, die er je getroffen hatte.
„Sie werden an den Fockmast gebunden, und es wird kein Vergnügen werden.“
Sie lächelte breit.
Ein paar Stunden nach Sonnenuntergang war der Himmel pechschwarz geworden, kein Stern war mehr zu sehen. Die Winde machten jetzt sechsundfünfzig Knoten und hatten seither nicht nachgelassen, die Fregatte hatte nur noch das Sturmsegel gesetzt. Die hohen
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