Freiflug (Die Ratte des Warlords II) (German Edition)
denkst , das Leben ist zu kurz für unausgesprochene Gedanken."
"Du wohnst bei deiner Oma. Und du gefällst mir als Mann, nicht als Junge."
"Ich suche mir schon eine eigene Wohnung."
Melissa lächelte knapp, dann blickte sie nachdenklich aus dem Seitenfenster in die Dunkelheit. Plötzlich legte sie ihre Hand auf die von Kepler, die auf dem Schalthebel lag. Diese Geste war für ihn ein kleines Wunder.
Deswegen war er nicht enttäuscht, weil Melissa ihn nicht bat, mit herein zu kommen. Ihr Abschiedskuss war Verheißung genug.
Am Auto drehte Kepler sich um. Melissa stand noch immer in der Tür und im stumpfen Licht der Eingangsbeleuchtung machte ihr Gesicht den Eindruck, als ob sie ihre Meinung revidieren wollte. Kepler wartete das Ergebnis ihrer Überlegungen nicht ab. Er winkte ihr knapp und stieg ein.
Die Straßen waren leer. Kepler schaltete den Tempomaten ein und ließ den Audi gleiten. Er kam trotzdem schnell wieder nach Hause.
Und er hörte Oma ta tsächlich sich im Bett umdrehen, als er an ihrer Tür vorbei schlich. Er grinste. Noch nie hatte er seine Großmutter um den Schlaf gebracht, indem er ihr gehorcht hatte. Erheitert legte er sich hin und schlief ein.
Das konnte er wirklich sehr gut, schnell abschalten und zur Ruhe finden.
Aber er war Scharfschütze. Und es war noch zu kurz her, als dass er einschl afen würde ohne dass ein Teil seines Verstandes wach blieb, während sein Körper sich erholte. Im Krieg rettete solches Dösen das Leben, wenn man von einer Sekunde auf die nächste schießen musste. Oder weil man danach einfach Kraft hatte, einen weiteren Tag, oder zwei, auf der Lauer zu liegen.
Während ein Teil seines Verstandes eindämmerte, fragte Kepler sich, warum seine Erinnerungen an Afrika im wachen Zustand immer nur die an schöne Dinge waren, an das Farbenspiel des Himmels in der Dämmerung oder an das Lachen kleiner Kinder. Und warum nachts die anderen Bilder kamen. Und zwar nicht die von sich freuenden Menschen, die sie empfingen, wenn sie ihr Dorf befreit hatten. Sondern immer nur die Bilder vom Ende. Als er noch geglaubt und gekämpft hatte, obwohl es schon zu spät gewesen war.
Der letzte Kampfeinsatz hatte ihn und seine fünf Männer durch das ganze Reich von Abudi geführt. Sie hatten die übriggebliebenen Teams der Ratten brigade inspiziert, ihren Kampfgeist gestärkt und ihnen Mut gemacht. Die Teams hatten wirklich gute Arbeit geleistet, vier Einheiten hatten zusammen den Verlust nur eines Mitglieds zu beklagen.
Aber das Team Zwei hatte innerhalb von drei Wochen vier verloren. An der südlichen Grenze von Abudis Reich hatte sich eine Gruppe desertierter Regierungssoldaten zusammengerottet, die ganze Landstriche verwüstete. Der nur einhundert Mann starke Verband zog marodierend umher und entwich Abudis Einheiten. Team Zwei hatte die Bande innerhalb von Tagen um ein Drittel dezimiert. Aber als Kepler den Stützpunkt des Teams erreichte, war dieser leer.
Die Männer kehrten am Abend zurück. Mit leergeschossenen Waffen, nur in ihren Pistolen steckten noch geladene Magazine, mit grimmig verzerrten Gesichtern, die zu keiner Regung mehr fähig waren, schmutzig, in zerrissenen, blutverschmierten Kleidern, bildeten sie vor Kepler, der ihnen entgegengelaufen war, eine Reihe. Er salutierte zurück und winkte ab, als der Leutnant Bericht erstatten wollte, und schickte die Männer sich sauber machen und etwas essen.
Und hatte dagestanden und im Licht der Abenddämmerung auf zwei tote Kameraden geblickt, die das Team Zwei aus dem Feuer zurückgebracht hatte...
Kepler stand auf und ging zum Fenster. Er hatte nicht lange geschlafen, der Morgen brach erst an. Kepler stand da, blickte hinaus und wünschte sich, die Erinnerung an Melissas weiche Haut würde sich nicht so verflüchtigen, wie es das morgendliche Grau über den Dächern der kleinen Stadt draußen tat.
Melissa war ein plötzliches unverdientes Geschenk, aber was er damit anfangen wollte – oder konnte – das wusste Kepler nicht. Im Moment war er einfach schlecht im Realisieren. Er musste sich in diesem Leben erst zurechtfinden, und auch neu lernen, richtig mit einer Frau umzugehen. Nicht, weil er Angst vor Melissa hatte. Er hatte sie um sie. Denn wenn kein Wunder geschah, würde er auch diesmal wieder alles kaputt machen, es war nur eine Frage der Zeit.
Mehr, als es langsam anzugehen, um möglichst keine Fehler zu machen, wusste er nicht, was er versuchen konnte.
Einzig, dass Oma Melissa so bereitwillig akzeptiert hatte,
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