Freiflug (Die Ratte des Warlords II) (German Edition)
blieben Kepler und er manchmal bis tief in die Nacht auf, und der Butler erzählte mit Hingabe alles was er wusste. Matis Ausführungen, egal über welches Thema, trugen nicht unbedingt einen akademischen Charakter, sie waren vielmehr Lebenserfahrungen. Einerseits waren die Informationen deswegen besonders wertvoll, weil sie aus erster Hand stammten. Andererseits unterlagen sie naturgemäß einer Einschränkung, weil der Butler nur einen kleinen Ausschnitt des Ganzen darstellen konnte. Aber er glich diesen Nachteil mit seinem enzyklopädischen Wissen aus, was allerdings sehr informativ war.
Vieles in den Erzählungen des Butlers drehte sich um die Geschichte der Fam ilie Galema, mit der Matis die Geschichte des Landes, seine eigene und die der anderen Bediensteten auf der Ranch verknüpfte. Kepler hatte den Eindruck, dass Matis' Familie der von Galema nicht sosehr diente, wie sie ihr durch Freundschaft verbunden war. Matis, der wirklich eine Butlerschule in England besucht und mit Bravour abgeschlossen hatte, hatte dieses Bild für sich selbst passend gerückt, damit es zu seinem Gemüt als perfekter Diener passte. Dass er und Galema eigentlich Freunde waren, nahm der Butler einfach nicht wahr.
Sowohl Galema als auch Matis und alle anderen Angestellten stammten aus dem Volk der amaXhosa, wie sie sich selbst bezeichneten, dessen berühmtester Sohn Nelson Mandela war. Im allgemeinen Sprachgebrauch wurden das Volk und seine Sprache vereinfachend nur Xhosa genannt.
Die Geschichte dieses Bant uvolkes, das vor der Kolonisierung des Landes durch die Weißen von Viehzucht gelebt hatte, war von dem makaberen Kapitel beeinflusst, das als Viehtötung der Xhosa von 1856 Einzug in die Geschichtsbücher fand. Damals hatten die Xhosa aufgrund einer Prophezeiung ihr gesamtes Vieh getötet, was fast zum Aussterben des Volkes geführt hatte. Zudem hatten die Xhosa deswegen fast ihr gesamtes Land an die Weißen verloren.
Familie Galema war das beste Beispiel dafür, dass trotz der Unterdrückung während der Apartheid einigen Xhosa der wirtschaftliche und soziale Aufstieg gelang. Sie erlangte ihren Reichtum Mitte der Sechziger, als Galemas Großvater sich auf die traditionelle Viehzüchtung besann. Er hatte sämtliche politische Hindernisse überwunden und im Homeland Ciskey, einem der beiden den Xhosa zugewiesenen Reservate, einen Zuchtbetrieb gegründet. Galemas Vater, zu diesem Zeitpunkt schon ein erwachsener Mann, baute mit ihm das Familienimperium gemeinsam aus. Dessen Kinder hatten es etwas einfacher.
Aber David, sein ältester Sohn, verabscheute das Geld und hatte die Familie deswegen sogar verlassen. Benjamin, der zweite, hatte sich der Politik verschrieben. Einzig Mauto brannte darauf, ein Wirtschaftsmogul zu werden.
Rebecca nahm eine Sonderstellung ein. Sie erfüllte die Klischees sowohl der einzigen Tochter als auch des jüngsten Kindes. Sie wurde als Nachzüglerin geboren, als die Familie auf derart sicheren Füßen stand, dass ihr ein Leben ermöglicht wurde, in dem sie keinen Mangel kannte und von allem nur das Beste bekam. Sie war klug und ehrgeizig, und ihr Vater hatte sie sehr früh nach Kräften gefördert, sodass sie Mauto trotz ihrer sehr innigen Beziehung die Spitze streitig machte. Aber anstatt sie zum Wettstreit anzuspornen, machte ihr Vater sie zu einem unschlagbaren Gespann. Beide hatten Wirtschaft studiert und dann nach und nach die Leitung der Firma übernommen. Mauto besaß naturgemäß die größere Erfahrung, Rebecca das bessere Gespür. Sie harmonierten derart effektiv miteinander, dass sie das Familienunternehmen im Laufe weniger Jahre zu einem Konzern ausgebaut hatten. Sie verhundertfachten das Familienvermögen, indem sie Geld mit Schiffen, Flugzeugen, Öl und Diamanten verdienten.
Mautos Herzinfarkt hatte diesem Streben ein jähes Ende bereitet. An der Schwelle des Todes hatte Galema wohl sein ganzes Leben überdacht und danach seine kleine Schwester überzeugt, ihrer Existenz einen tieferen Sinn einzuhauchen. Mit Milliarden im Rücken war das zwar relativ einfach, aber es bedeutete auch die komplette Umstellung im Denken. Kepler hatte den Eindruck, dass Matis sich insgeheim darüber freute. Vielleicht, weil die Familie nicht mehr im Rampenlicht stehen würde sobald die Geschwister ihren Konzern ausverkauft hatten, Matis war ein sehr auf Ruhe bedachter Mensch. Kepler imponierte diese Tatsache ebenso, sie bedeutete eine enorme Erleichterung auch für ihn. Freier atmen ließ ihn etwas anderes.
Weitere Kostenlose Bücher