Freiheit für Cyador
und denkt nach. Mit all seinen bisher gesammelten Erfahrungen ist es ihm nicht gelungen, die Tiere aufzuhalten. Aber hat er denn eine Wahl? Lorn schürzt die Lippen. Er hat gewiss nicht vor, jede einzelne Wasserechse mit dem Säbel zu töten, und er wird auch nicht alle Riesenkatzen bis zum bitteren Ende verfolgen.
Die Schlange lässt ihm noch immer keine Ruhe. Er legt die Schriftrolle weg und sucht nach dem Patrouillenhandbuch, das Major Maran ihm gegeben hat. Als er es schließlich in der Schreibtischschublade findet, blättert er langsam die Seiten durch, von vorne bis hinten. Das, was er sucht, findet er jedoch nicht, also beginnt er noch einmal auf der ersten Seite und überfliegt jedes einzelne Blatt.
Als er noch immer nichts findet, fängt er kopfschüttelnd ein weiteres Mal von vorne an. Kein Hinweis auf Schlangen, nirgends. Im Handbuch sind alle Gefahren von Nachtleoparden über Riesenkatzen bis zu Wasserechsen aufgelistet, selbst von Schildkröten wird dort berichtet, die Lorn noch kein einziges Mal zu Gesicht bekommen hat; weiterhin werden Aaskrähen erwähnt und die runden Nester von riesigen Papierwespen -Wespen, die so lang sind wie der Zeigefinger eines ausgewachsenen Mannes. Der Hauptmann zuckt zusammen bei diesem Gedanken und beschließt, diese Gefahr im Hinterkopf zu behalten, wenn er auf den nächsten umgestürzten Stamm trifft.
Lorn hat im Maul der Schlange keine Zähne erkennen können, auch hat die Schlange die Lanzenkämpfer nicht tätlich angegriffen. Sie könnte jedoch einen ausgewachsenen Mann ohne weiteres am Stück verschlingen.
Lorn reibt sich am Kinn und liest noch einmal den Brief, den er nun beantworten oder aber an Major Maran senden muss. Keine der beiden Möglichkeiten behagt ihm so recht.
Schließlich setzt er die Feder aufs Papier:
Verehrter Ser,
ich weiß um die Schwere des Unglücks, das Euch, Eurer Familie und Eurem Bruder widerfahren ist …
… tun alles, was wir können, aber die Patrouillen der Zweiten Kompanie erstrecken sich über eine Länge von neunundneunzig Meilen an der Mauer entlang, wofür uns nur zwei Züge Lanzenkämpfer zur Verfügung stehen … Zu der Zeit, als Ihr mit diesen Schwierigkeiten behelligt wurdet, kämpften wir gerade mit dem Verwunschenen Wald und töteten fast zwanzig Raubtiere, darunter waren vier Riesenkatzen, zwei Rudel schwarze Nachtleoparden und eine riesige Wasserechse … Bei diesen Einsätzen verloren fünf Lanzenkämpfer ihr Leben. Es kann vorkommen, dass nicht alle Tiere getötet werden; aber gewiss nicht aufgrund mangelnden Einsatzes oder fehlender Bereitschaft seitens der Lanzenkämpfer, für das Volk von Cyador zu sterben … wir werden fortfahren und unser Bestes geben in diesem schier endlosen Kampf … Mit den besten Wünschen und aufrichtigem Bedauern …
Anschließend schließt Lorn alle acht Briefe in die Truhe, denn im Augenblick gibt es keine Möglichkeit, sie zu verschicken, und vielleicht muss er die Wortwahl des letzten Briefes noch einmal überdenken.
Er schließt die Tür zum Arbeitszimmer und geht den einsamen Flur entlang, biegt in den nächsten kreuzenden Korridor ein und tritt durch die Doppeltür hinaus in den Hof. Auch dort ist keine Menschenseele zu sehen, denn Juist patrouilliert gerade etwa dreißig Meilen weiter nördlich auf den Straßen.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes steht die Stalltür offen und Lorn begibt sich dorthin.
»Ihr seid aber früh auf, Ser«, meint Suforis, der schmalgesichtige blonde Stalljunge, der dem Lanzenkämpferhauptmann entgegenkommt, »dafür, dass Ihr heute Euren freien Tag habt, meine ich.« Er wirft einen Blick in den Stand, in dem Lorns Wallach untergebracht ist. »Habt Ihr vor, weit zu reiten, Ser?«
»Nur nach Jakaafra.«
»Das wird er noch schaffen. Der Hufschmied kommt nach der nächsten Patrouille, Ser.«
»Wie viele Pferde müssen neu beschlagen werden?«
»Werden schon zehn sein, Ser. Aber so arg wie bei Unteroffizier Juists Pferden ist es bei den anderen nicht; er reitet meistens auf der Straße und das tut den Pferden nicht gut. Er ist derjenige, der die Ersatzpferde am meisten in Anspruch nimmt.«
Lorn nickt, dann fragt er: »Du sagtest, dass du die Ersatzpferde ausreiten darfst?«
»Muss ich sogar, Ser. Und für Unteroffizier Juist mache ich manchmal auch Botenritte.«
»Das kannst du sicher gut, da wette ich«, antwortet Lorn. »Vielleicht kann ich deine Dienste auch einmal in Anspruch nehmen, du müsstest Schriftrollen wegbringen
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