Freiheit fuer Mama
unseren alltäglichen Kleinigkeiten. Nur, dass wir gerade gar nicht verzweifelt sind, sondern im Gegenteil durch den Abstand alles mit viel Humor sehen können. Ich fühle mich prima. Acht Monate alkoholische Enthaltsamkeit und nun ein Gläschen nach dem anderen. Das einzige Problem ist meine Brust. Sie spannt etwas. Schließlich hat sie auch heute noch brav Milch produziert, nur ist keiner da, der sie will. Ich habe mich im Laufe des Tages schon dreimal unter die Dusche gestellt, um die Milch auszustreichen. Der Prosecco scheint den Fluss aber noch richtig anzukurbeln. Jedenfalls sehe ich jetzt aus wie Dolly Dollar. Aber das ist ja eigentlich auch nicht das Schlechteste.
Kerstin erzählt gerade, was sie alles angestellt hat, um übers Wochenende wegfahren zu können. Bereits drei Tage vor dem Losfahren hat sie das Haus von oben bis unten geputzt, sämtliche Wäsche gewaschen und für ihre zwei Kinder und ihren Männe vorgekocht. Sie hat auch noch einen Megaeinkauf gemacht, die Vorräte aufgefüllt und endlose Listen geschrieben, was wann zu tun ist und welches Kind welche Flasche wann bekommt.
Katharina gibt kichernd zu, dass sie sogar die Betten frisch bezogen und bei der Gelegenheit gleich die Kleiderschränke aufgeräumt habe, weil beim Herausholen der Bettwäsche alles Mögliche herausgefallen sei – und weil sie entnervt war und das sowieso schon ewig machen wollte.
Als ich das höre, denke ich: Mensch, da fahren wir drei Tage weg und tun so, als würde gleich der Krieg ausbrechen. Wir hamstern und horten und putzen und kochen. Das ist doch absurd! Was ist eigentlich mit unseren Männern? Wenn die mal auf Tour gehen, sind sie einfach weg. Da kauft keiner vorher ein, bezieht Betten oder kocht vor. Aber wir Frauen wieder: immer schön in der Tretmühle. Ich sehe mich in einer Art Riesenhamsterrad. Ich laufe und laufe und laufe, bin völlig außer Atem und komme doch nicht ans Ziel. Genau so ist es doch bei uns Frauen: Wir tun und machen und werden doch nie richtig fertig mit allem. Und wenn doch, dann sind wir selbst es auch: fertig, und zwar fix und fertig, alle und aus. Und wenn ich ehrlich bin: Bei mir war es vor dem Losfahren auch nicht besser. Ich habe das ganze Programm durchgezogen, das auch Kerstin und Katharina gemacht haben.
Mann, bin ich bekloppt!
Ich bin ein bisschen betrunken. Ich bin zum ersten Mal seit Langem wirklich entspannt und muss über mich selber kichern. »Gerade musste ich daran denken, wie ich Piets Brei vorbereitet habe, damit Ben keine Arbeit damit hat«, sage ich. Und weil ich wirklich gut drauf bin, stelle ich mich hin und führe mitten in der Bar vor, was ich alles angestellt habe, um es perfekt und gut und richtig zu machen: wie ich zum Kühlschrank gehe und schon mal Möhren und Kartoffeln herausnehme und für den Brei abwiege und dann rappsch, rappsch, schäle und putze. Wie ich das Gemüse klack, klack, klein schneide und portionsweise in kleine luftdichte Dosen fülle. Und schnapp und zu die Dosen. Vorkochen kommt nicht infrage, alles muss ja ganz frisch sein. Und dann noch die Würstchen, von denen ich, ritsch-ratsch, schon mal die Haut abziehe.
Als ich das mit der Würstchen-Haut erzähle, liegen die anderen vor Lachen fast unter den Stühlen. »Mensch«, sagt Sandra, »du bist wirklich bekloppt. Was soll das denn?« Ich erzähle, nun etwas ernster, dass Paul schon mal fast an einem Stückchen Wurst erstickt wäre. Er hatte einen Happen in den Mund gesteckt, aber nicht ordentlich gekaut und sich dann verschluckt. Er fing sofort an, fürchterlich zu husten, doch das nützte nichts. Die Wurst blieb drin. Er lief ganz blau an. Ich riss ihn aus seinem Hochstuhl heraus, legte ihn aufs Sofa, packte seine Beine, ließ ihn kopfüber herunterhängen und klopfte ihm unsanft den Rücken. Er lief knallrot an. Aber immerhin kam das Wurststück, flupp, wieder raus. Seitdem machen wir von der Wurst immer die Haut ab. Eine Mutter hatte mir mal erklärt, dass Kinder sich dann nicht so leicht verschlucken.
Aber Sandra hat recht: Ich bin wirklich bekloppt. Nicht, weil ich aus Sorge die Haut von der Wurst abmache, das machen andere auch. Sondern weil ich es mache, bevor ich wegfahre, und das nicht Ben überlasse. Und auch, weil ich das Gemüse abwiege und putze und schnipple und in Dosen packe und so tue, als sei ich die Einzige auf der Welt, die das kann. Ich will wohl meine Familie schonen. Weil ich nämlich tief in mir ein schlechtes Gewissen habe und denke: Du machst dich hier drei
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