Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
gebrauchen ist.
Mit einem alten Schraubenzieher von Opa Ali hebele ich die Tür des großen Schranks auf. Wollte immer schon wissen, was da drin versteckt ist. Oh, Mutters berühmtes
Service! Bisher habe ich nur Einzelstücke zu sehen bekommen, die sie Babanne immer ganz stolz gezeigt hat. Jedes Jahr, wenn sie zu Besuch kommt, wird es um einige Stücke ergänzt. Mannomann, was sich da in all den Jahren angesammelt hat! Jedes Teil trägt auf der Unterseite einen Stempel. Aha, deutsche Markenware. Aber wie kriege ich das alles kaputt? Es sind bestimmt über hundert Einzelteile, und wenn ich die jetzt nacheinander auf den Boden pfeffere, wacht sogar Babanne auf, obwohl sie einen Schlaf hat wie ein Murmeltier.
Ich weiß schon! Der edle Teppich, der dort drüben zusammengerollt ist, wird mir gute Dienste leisten!
Ich entrolle ihn und verteile Mutters Service gleichmäßig auf der einen Hälfte. Eine Porzellanschicht von 20 Zentimetern Höhe, cirka zwei mal ein Meter Fläche. Ein letzter Blick auf dieses Prunkstück elterlichen Besitzes - und schwupps, schon liegt die andere Hälfte des Teppichs darüber. Reicht das, um den Höhepunkt meines Zerstörungsfeldzuges ausgiebig genießen zu können, ohne lästige Zeugen auf den Plan zu rufen? Ich werde lieber noch die flauschigen Decken von dort hinten holen, um für Diskretion zu sorgen. Schon sind sie über meinem Werk ausgebreitet. Es kann losgehen!
Wohl eine gute Viertelstunde lang vollführe ich, wie Rumpelstilzchen am Feuer, ein böses Tänzchen auf meinem Teppich-Service-Sandwich. Gedämpft, aber markant genug, um mir die gewünschte Befriedigung zu bereiten, bezeugen die Geräusche unter meinen wirbelnden Füßen die fortschreitende Zerstörung: Erst ein heftig protestierendes Knacken und Prasseln, dann jammerndes Quietschen
und Knirschen, schließlich nur noch resignierte Laute des Mahlens und Rieselns … Gute Arbeit!
Auf zum nächsten Höhepunkt. Ich stehe vor dem nagelneuen TV-Gerät. Ein Farbfernseher, der ganze Stolz einer türkischen Gastarbeiterfamilie! Meine Eltern holen ihn während ihres Urlaubs immer zu sich ins Gästezimmer. Am Tag ihrer Abreise wird das Gerät immer wieder in die Kammer eingeschlossen. Ich habe in den letzten Jahren zwar Mittel und Wege gefunden, um hier ab und zu heimlich fernzusehen, aber wenn ich’s mir recht überlege, habe ich dazu eigentlich gar keine Lust mehr. Jetzt habe ich andere Pläne mit diesem Kasten.
Nun ist es vorbei mit euren gemütlichen Fernsehabenden.
Am nächsten Tag - mein Vandalenstück ist erwartungsgemäß unbemerkt geblieben, da so gut wie nie jemand von uns dort hoch ging, es sei denn, die Eltern wären zu Besuch - trage ich die Kiste zu einer Freundin nach Hause.
»Hier, nimm. Du wolltest doch immer schon einen eigenen Fernseher haben.«
Man kann sich leicht vorstellen, welchen Riesenärger ich bekam. Erst mit Babanne, dann mit meinen Eltern, das allerdings erst im folgenden Sommer. Da Babanne weder telefonierte noch schrieb, bekam man es in Darmstadt monatelang nicht mit, was ich angerichtet hatte.
»Was hast du mit meinen schönen Sachen gemacht. Bist du verrückt geworden!«
Meine Mutter schreit mich an. Aber ihre Schimpftiraden prallen an mir ab.
»Wenn ihr mich nicht mitnehmt, mach ich euch auch nächstes Mal wieder alles kaputt!«
Sie sollten ruhig merken, dass sie mir nichts mehr anhaben konnten.
Ich war nicht mehr bereit, die engen Grenzen und die Benachteiligungen, die mir auferlegt wurden, hinzunehmen. Als Teenager wünscht man sich eine Privatsphäre - ich musste sogar noch das Schlafzimmer mit Oma und Schwester teilen. Man wünscht sich, dass Gleichaltrige einen besuchen können - aber wer wollte schon zu mir kommen, wo ich doch nicht einmal ein kleines Eckchen im Hause mein Eigen nennen konnte? Ich sehnte mich nach Freiheit - und stand doch ständig unter der Fuchtel einer Greisin. Und wenn mich schon keiner in meiner Familie mehr mochte, so wollte ich wenigstens die Möglichkeit haben, mir einen eigenen Freundeskreis zu suchen.
Ja, mittlerweile hatte ich das Gefühl entwickelt, dass mich kein einziger Mensch mochte oder auch nur akzeptierte. Selbst mein Vater nicht, denn hätte er mich sonst nicht längst hier herausgeholt? Nicht einmal Hatice, denn auch zwischen uns beiden lief es nicht mehr gut. Nach außen hin hielten wir zwar noch zusammen wie eh und je. In den eigenen vier Wänden jedoch waren wir zu erbitterten Rivalinnen geworden. Wo wir uns früher harmlose Scharmützel
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