Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Wunsch.
Ich werde nach Deutschland gehen.
In Deutschland sind alle gut zu mir.
In Deutschland werde ich viele Freunde haben und viel Spaß.
Dann machte ich einen Kreis um die Zeichen und tanzte ein bisschen darum herum wie eine kleine Zauberin. So hatte ich es in einem Kinderbuch gelesen, und die wichtige Miene dabei hatte ich mir von Babanne abgeschaut, wenn sie ihren rätselhaften Ritualen nachging. Am Schluss wischte ich alles wieder weg, begleitet von einem »Husch, husch, husch!«
Gleichzeitig stellte ich mir vor, dass damit alles wahr werden würde. Ich war wohl ein kleines Naturtalent in diesen Dingen.
Es gab auch Tage, da schaukelte ich stundenlang und träumte nur so vor mich hin, bis es dunkel wurde. Irgendwann kam Babanne mich dann immer holen.
Einmal aber wurde ich von meinem Lehrer erwischt. Das war schlimm. Herr Mürluk war gerade auf dem Weg zur Schule. Als er in meine Richtung schaute, konnte ich mich nicht mehr rechtzeitig wegducken.
»Was macht denn die kleine Ayşe hier am Spielplatz?«
Die Frage war rhetorisch gemeint, aber der Ton drohend. Ich hätte mir vor Angst fast in die Hosen gemacht.
»Da wird sich deine Oma aber freuen, wenn ich ihr erzähle, wo du dich morgens herumtreibst.«
Am nächsten Tag musste ich vor die Klasse treten. Daumen und Finger beider Hände zusammenlegen und nach oben halten. An mir wurde ein Exempel statuiert.
»Damit du nie wieder vergisst, wo du am Morgen zu sein hast!«
Mit diesen Worten holte der Lehrer weit aus und ließ die Rute zehnmal auf meine Fingerspitzen sausen.
Höllisch weh tat das! Aber ich verkniff mir die Tränen.
Stolz und stur!
Viel schlimmer noch als die Schmerzen wäre es gewesen, vor der Klasse zu heulen.
In unserer Schule waren Backpfeifen, das Ziehen an den Ohren oder Haaren und andere Misshandlungen durch die Lehrer an der Tagesordnung. Eben die üblichen Sanktionen einer autoritären Erziehung, wenn wir schwatzten, unsere Hausaufgaben nicht gemacht hatten oder unfolgsam waren. Wir kannten es nicht anders. Und hatten eine Riesenangst vor unseren Lehrern. Sie waren nach dem Hotscha die am meisten gefürchteten Respektspersonen. Noch aus alter Zeit stammte der rabiate Satz, mit dem der Lehrer ein Kind bei seiner Einschulung von dessen Vater in Empfang nahm:
»Eti senim, kerim benim - das Fleisch für dich, die Knochen für mich.«
Wie es sich in den Augen Babannes gehörte, besuchten wir neben der Grund- und Hauptschule auch die Koranschule. In diesen Dingen war sie äußerst rigoros. Ich frage mich, ob da nicht auch ein Bedürfnis mitspielte, das eigene spirituelle Abweichlertum wettzumachen. Sie selbst bewegte sich mit ihren Praktiken auf schmalem Grat, wenn man die Maßstäbe der sunnitischen Orthodoxie anlegte. Die lernten wir Kinder nun dafür umso besser kennen.
Auf Wunsch unserer Erziehungsberechtigten traten wir zwischen dem achten und 15. Lebensjahr zweimal in der Woche zum privaten Religionsunterricht an. Dafür bezahlte unsere Oma eine Menge Geld, und sie bereute es sicher keine Sekunde.
In der Türkei gibt es zwei Bildungssysteme mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben und unterschiedlichen Regeln. Das öffentliche Schulsystem funktioniert im Grunde genau wie in Deutschland: Alle müssen zur Schule gehen, und alle werden gleich behandelt, jedenfalls der Idee nach. Daneben gibt es den Bereich des religiösen Unterrichts, der nach den Regeln des Islam organisiert ist: Keiner muss ihn besuchen, da die Türkische Republik sich als säkularen Staat begreift. Diejenigen aber, die hingehen, sind zwar vor Gott gleich, nicht jedoch vor der Tradition.
Während also die Jungs zum Lernen in die Moschee durften und vom Hotscha persönlich unterrichtet wurden, mussten wir Mädchen zu einer weiblichen Hilfspredigerin nach Hause. Schließlich soll möglichst früh eingeübt werden, dass es dem weiblichen Geschlecht nur an hohen Festtagen erlaubt ist, die Moschee überhaupt zu betreten.
Und dann auch nicht etwa den großen Gebetssaal, sondern nur die Sparversion, den Gebetsraum der Frauen.
Beim Religionsunterricht ging es noch strenger zu als in der Schule. Bereits im Hof des Hauses der Koranlehrerin mussten wir Kopftücher anlegen, um eingelassen zu werden. Schweigend hatten wir uns in die Gebetsecke zu kauern. Und der Unterricht? Fragen zu stellen war nicht direkt verboten, aber so gut wie undenkbar. Was also haben wir gelernt? Na, den Koran natürlich. Auswendig gelernt, um es genau zu sagen. Und, um ganz korrekt zu sein: in
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