Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
arabischer Sprache . Das ist schon eine Besonderheit der islamischen Welt: junge Menschen ein heiliges Buch, das viele hundert Seiten umfasst, auswendig lernen zu lassen, ohne dass sie ein einziges Wort davon verstehen ! Volle sieben Jahre bimsten und büffelten wir, was das Zeug hielt. Erst das arabische Alphabet lernen, um den Text laut lesen zu können, auch wenn wir ihn nicht verstanden. Dann die Gebetstexte lesen und aufsagen. Unsere Lehrerin war sehr streng, sie achtete peinlich genau auf die richtige Betonung der Wörter und Sätze. Wenn wir einmal unsere Hausaufgaben nicht gemacht hatten, schimpfte sie und quälte uns mit bösen Drohungen. Und das wirkte! Schließlich waren wir tatsächlich in der Lage, den kompletten Koran Zeile um Zeile zu rezitieren, nahezu im gleichen rhythmischen Gebetsgesang wie ein Muezzin .
Abschluss und Höhepunkt unserer religiösen Erziehung war das heilige Fest des Hatim Indirmek . Das ist die türkische Version der Konfirmation, sozusagen. Wie alle großen Religionsfeste fand auch dieses in der Moschee statt. Babanne scheute keine Kosten und Mühen, um uns für den
großen Tag herauszuputzen. Sie ließ uns Kleider aus wunderschönen Stoffen und dazu passende Kopfbedeckungen nähen, in denen wir wie kleine Bräute aussahen.
Hatim Indirmek war eine harte Prüfung vorangestellt, denn dabei galt es, die erworbenen Kenntnisse unter Beweis zu stellen.
»Ayşe sagt nun Kapitel 5 Sure 6 auf«, verkündete der Hotscha bei der feierlichen Zeremonie.
Und dann spulte ich meinen Text mustergültig ab. Auch Hati und die anderen meisterten ihre Gebete. Am Ende waren wir alle stolz, unseren Eintritt in die religiöse Gemeinschaft geschafft zu haben. Mit Hatim Indirmek waren wir gesellschaftlich anerkannt. Wir hatten den Segen Allahs zum Eintritt ins Erwachsenenleben. Die bombastische Inszenierung gefiel eigentlich auch mir, aber meine Eltern erschienen leider nicht zu diesem Fest. Vielleicht wurde damit die letzte Möglichkeit vertan, mich einzufangen für eine Existenz in jener Welt, in der meine Familie lebte.
Allahaısmarladık, Susurluk
Susurluk, Westtürkei, Sommer 1983
F ehlende Zuwendung von meiner einzigen Erziehungsberechtigten. Kaum noch Entwicklungsanreize in der Schule. Im Herzen aber schon der jugendlichen Drang, die Welt zu erobern. Es war wohl unvermeidlich, dass mit dem Eintreten in die Pubertät eine Protestlerin in mir heranwuchs. Ich brachte zwar nach wie vor gute Zensuren nach Hause, aber nicht, weil ich noch gut gearbeitet hätte, sondern weil ich nicht allzu sehr gefordert wurde. Von Großmutter ließ ich mir immer weniger sagen. Meistens war ich mit einer verschworenen Gang unterwegs, fast alle älter als ich. Was wir trieben, war nicht besonders originell, aber es schien uns Stärke und Zusammenhalt zu geben: gemeinsam rumhängen, Musik hören, rauchen und endlos miteinander reden.
Ich hatte entdeckt, dass Babanne eine alte Frau war, zu schwach, um mich daran zu hindern, Grenzen zu überschreiten. Meine Eltern? Die waren im fernen Deutschland.
Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt, mich in diesem Kaff versauern zu lassen.
Ich überlegte zum ersten Mal in meinem Leben strategisch, cool und absolut fokussiert. Ich hatte endgültig die Nase voll.
Ihr sollt mich kennenlernen!
Und dann schritt ich zur Tat. Effizient, erbarmungslos, mit dem Mute der Verzweiflung.
Es ist tiefe Nacht, Babanne schnarcht vor sich hin, sie wird mich nicht aufhalten. Ich nehme die Stufen zum ersten Stock wie im Fluge. Kein Problem für mich, das Schloss aufzubrechen, das haben mir die Jungs aus meiner Clique beigebracht. Ich bin drin! Im Deutschkonsumtempel meiner Mutter.
Wie ordentlich sie alles verpackt hat!
Ich bin gut ausgerüstet. In meiner Umhängetasche habe ich alles Nötige. Zuerst muss das schärfste Messer aus unserem Haushalt ran. Das »Ratsch«, vor dem das Klebeband des ersten Kartons kapituliert, klingt wie Musik in meinen Ohren.
Ha, die kostbare Bettwäsche! Und was für hübsche Tischtücher! Die waren bestimmt sehr teuer!
Mit Hochgenuss steche ich das spitze Messer mitten hinein in Blümchenmuster und Goldstickerei.
Und hier, das feine Tuch! Omas große Schere wird dafür sorgen, dass du dir daraus keine Kleider mehr nähen kannst!
Schnibbel-di-schnapp - schon ist die erste Stoffbahn unbrauchbar gemacht. Bloß nicht vor lauter Wut alles in kleine Fetzen schneiden! Das kostet nur Zeit. Gerade nur so viel kaputt machen, dass nichts mehr zu
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