Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Schwestern unseres Vaters, zu der ich einen guten Kontakt hatte, auf meine Seite. Sie nahm telefonisch Kontakt mit ihrem Bruder auf und versuchte ihn zu überzeugen, uns wieder nach Deutschland zu holen.
»Hatice will Oma nicht alleinlassen. Sie hat Angst, dass sie dann stirbt.«
Ich sitze mit meinen Deutschländern am Frühstückstisch in der Laube, als meine jüngere Schwester Cavidan damit herausplatzt.
Mein Herz klopft plötzlich wie wild. Was hat das zu bedeuten? Hat man hinter meinem Rücken beschlossen, uns diesmal wirklich mitzunehmen? Ich scheine die Letzte zu sein, die es erfährt!
Verwirrt, aber mit einem strahlenden Funken Hoffnung im Herzen, schaue ich auf meinen Vater. Er räuspert sich und ergreift dann das Wort.
»Hatice möchte gern hierbleiben. Wenn Ayşe möchte, kann sie allein mitkommen.«
Mein Traum wird endlich wahr!
Ich. Darf. Nach. Deutschland.
Als Erstes laufe ich zu den Nachbarsmädchen.
»Habt ihr schon gehört? Es ist so weit! Ich werde euch verlassen, und zwar für immer!«
»Was! Du machst wirklich Ernst? Haben sie echt gesagt, dass sie dich mitnehmen?«
Jahr für Jahr habe ich meinen Freundinnen von nebenan erzählt, dass ich eines Tages aus Susurluk weggehen würde. Irgendwann haben sie mich nur noch ausgelacht. Jetzt aber ist es so weit!
Nur noch zwei Wochen bis zur Abreise. Was für eine Aufregung! Ich muss von der Schule abgemeldet werden, muss mich von allen verabschieden. Meine Kindheit hinter mir lassen. Doch nicht eine einzige Träne werde ich alldem hier hinterherweinen! Ein bisschen weicher hat mich die unverhoffte Wendung meines Schicksals aber doch gemacht, und wenn ich auch nicht mehr in der Lage bin, an meinem Fenster ein Abschiedsritual zu vollziehen, so schicke ich vor dem letzten Einschlafen in der alten Heimat doch ein inniges Gebet zum Himmel.
Ich wünsche mir, dass ich in Deutschland glücklich werde. Ich möchte dort meinen Weg gehen.
Am 15. August 1983 steige ich stolz wie ein Pfau mit den anderen in unseren Mercedes-Kleinbus. Ein ganzes Abschiedskomitee hat sich um den Wagen versammelt. Die Nachbarskinder, all meine Spielkameraden, die Nachbarn, sogar die Männer aus dem Kahwe gegenüber sind gekommen. Und natürlich Babanne und ihre solidarisch zurückbleibende Hatice. Als der Dieselmotor anspringt und eine schwarze Auspuffwolke in Richtung des Erdhauses bläst, kommt Hati noch einmal angesprungen und klopft an mein Fenster. Ich lege die Handflächen an die Scheibe, um sie ein letztes Mal zu grüßen, aber wir rollen schon davon. Hati läuft noch ein paar Schritte neben dem Auto her. Ich winke ein letztes Mal, drehe mich aber nicht mehr nach ihr um. Ich habe mir fest vorgenommen, nicht zu weinen.
Was für ein Gefühl, wenn ein so sehnsüchtig erwartetes Ereignis eintrifft. Noch kann ich gar nicht begreifen, dass ich meine Heimat verlasse. Während wir das Ortsschild passieren, winke ich ihm zu:
» Allahaısmarladık - Gott befohlen , Susurluk. Du wirst mich nie mehr wiedersehen.«
Drei Tage und Nächte sind wir unterwegs, die neunköpfige Familie. Aynur mit Vater und Mutter vorn, in der zweiten Reihe Naime mit den beiden großen Brüdern. Ganz hinten ich mit meiner jüngeren Schwester Cavidan und Nesthäkchen Ali. Wir liegen quer über den Sitzen, mit Kissen unter dem Kopf und Decken, wie in einem Wohnwagen. Es geht
quer durch Bulgarien, dann durch Jugoslawien, über den legendären Autoput. An sämtlichen Grenzen müssen wir uns im Halbschlaf aus den Sitzen quälen, die Zöllner durchsuchen das Auto von oben bis unten. Dann geht es weiter.
Wir fahren gerade durch Österreich, sind kurz vor der deutschen Grenze, als Cavidan aus heiterem Himmel etwas zu mir sagt, das meine Vorfreude dämpft:
»Mein Bett und meine Kleider kriegst du nicht.«
Teil 2
Wünschen und Beten
Istanbul, März 2009
D arf ich den Damen nachschenken?«
»Aber gern.«
Der Kellner gießt uns nach. In kerzengerader Haltung, die linke Hand hinter dem Rücken, den Daumen der rechten in der Vertiefung am Boden der Champagnerflasche. Einfach stilvoll, passend zur Situation. Es ist unser Geburtstag, und den feiern wir stets gemeinsam, meine Schwester und ich. Diesmal genehmigen wir uns ein verlängertes Wochenende in einem schönen Hotel. In Istanbul.
»Auf weitere 42 Jahre Zwillingspower!«
»Auf dieses ganz normal verrückte Leben!«
»Soll ich dir verraten, was mir gerade durch den Kopf geht?«, frage ich meine Schwester, während mein Blick über
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