Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
das glitzernde Blau des Bosporus schweift.
»Na was denn, hast du gerade eine deiner Visionen?«
Mich verschmitzt zu necken ist eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen, nun, da wir ein reiferes Alter erreicht haben. Ich fühle mich ein wenig ertappt.
»Du liest wohl mal wieder Gedanken.«
»Und, was denkst du? Erzähl schon!«
Halb neugierig, halb belustigt erwartet sie meine neueste Idee.
»Ich habe das Gefühl, dass ich in absehbarer Zeit eine Wohnung in Istanbul haben werde, und zwar auch mit so einer schönen Aussicht wie hier von der Dachterrasse.«
»Nein, ehrlich? Wow!«
So ganz ernst scheint sie mich nicht zu nehmen. Aber keiner kennt mich so gut wie meine Schwester. Sie ahnt, dass da etwas im Busch ist. Leicht nervös nippt sie an ihrem Glas.
»Du willst dir hier also eine Wohnung zulegen?«
»Ja, genau das habe ich vor.«
Ganz klar, welche Frage als Nächstes kommt.
»Und von welchem Geld?«
Zwei große braune Augen, soeben nochmals größer geworden, blicken mich mit einer Mischung aus Mitleid und Strenge an.
Diese Art von Unterhaltung läuft zwischen uns nach einem festen Muster ab. Phase 1: Ich teile ihr mit, dass ich etwas vorhabe. Phase 2: Sie bekundet Skepsis. (Zugegeben: Meine Ideen sind bisweilen etwas gewagt.) Phase 3: Ich lege die Gemütsruhe eines Menschen an den Tag, der mit sich selbst vollkommen im Reinen ist. Phase 4: Eine ernsthafte Diskussion beginnt. (Sofern das Thema für uns beide von Belang ist.)
Die erste und zweite Phase haben wir nunmehr hinter uns gebracht. Die dritte ist der erste Test für die Ernsthaftigkeit meiner Absichten. Heute bin ich gut in Form.
Lässig hebe ich die Schultern und setze mein unschuldigstes Lächeln auf. Dazu mache ich eine vertrauensvolle Handbewegung in Richtung Himmel.
»Aha, ich ahne schon …«, Hatice atmet tief durch. »Lass mich raten … Wunschzettel?«
Ich lege einen Finger vor den Mund und schaue ihr tief in die Augen. Über unerfüllte Wünsche soll man doch nicht reden! Hati weiß Bescheid: Heute kommen wir mit diesem Thema nicht weiter. Es ist ja auch noch nicht wirklich spruchreif.
Aber jetzt ist es heraus, und jemand anders ist neugierig geworden. Wir sind nämlich nicht allein. Hatices fünfjähriger Sohn Tiyen und mein Sohn Cenk, mittlerweile 22 Jahre, sitzen mit am Tisch. Der kleine Tiyen ist ein heller Kopf.
»Was für einen Wunschzettel hat Tante Ayşe denn, Mama?«
Hatice nimmt ihren Sohn auf den Schoß.
»Ayşe hat sich etwas gewünscht und auf einen Zettel geschrieben, das ist alles.«
Auf eines kann ich mich verlassen: dass Schwesterherz meine Botschaften ans Universum mit Verschwiegenheit behandelt. Das ist für sie eine Frage der Solidarität, auch wenn sie mich in diesen Dingen nicht uneingeschränkt ernst nimmt.
Mein kleiner Neffe ist mit der Antwort seiner Mutter zufrieden. Aber nun haben wir Cenk auf den Plan gerufen. Mein Sohn hebt die Augenbrauen und fragt mich ganz direkt:
»Von welchem Wunschzettel ist hier eigentlich die Rede?«
Zu blöd! Ich ärgere mich über mich selbst. In Champagnerlaune habe ich fahrlässig die Aufmerksamkeit auf mein aktuelles Geheimnis gelenkt. Hätte ich doch besser den Mund gehalten! Jetzt bin ich Cenk eine konkrete Antwort schuldig.
»Ich schreibe halt auf, was ich mir wünsche. Ist doch nichts dagegen einzuwenden, oder?«
Das macht meinen Sohn nur noch neugieriger.
»Aha. Du schreibst deine Wünsche auf. Und dann? Machst du ein Hexenritual, oder was?«
Achtung, Falle! Jetzt bloß nicht zu viel preisgeben.
Am besten ist es, ihm mit Humor den Wind aus den Segeln zu nehmen.
»Genau. Ich nehme meinen Hexenbesen, rufe Abrakadabra und sause durch die Lüfte davon.«
Was für eine Vorstellung! Cenk muss laut auflachen.
Uff! Eins zu null für mich. Selbst meinem schlagfertigen Sohn fällt zu diesem heiklen Thema jetzt nichts mehr ein.
Hatice ist der einzige Mensch, der meine Entwicklung in dieser Hinsicht von Anfang an mitbekommen hat. Und sie hat schon recht, wenn sie meine Rituale dabei in die Nähe von Vorlieben rückt, die auch Großmutter zeigte.
»Ayşe, wenn du diese Sachen machst, kriegst du irgendwie denselben Blick wie Babanne«, hat sie mal gesagt.
Ich wusste sofort, was sie meinte, und es hat mich schon ein wenig nachdenklich gemacht. Dieser Blick! Es wurde uns Kindern immer etwas unheimlich, wenn wir ihn bei Großmutter wahrnahmen. Wenn sie ihre Segnungen murmelte, schien sie mit weit geöffneten Augen und erhobenem Kopf in eine unendliche Ferne zu
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