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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse Auth
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Hausrat jetzt ein zweites Mal zulegen!«
    So hatte meine Mutter vor dem Umzug bei mir lamentiert. Ihr Ton ließ mich aufmerken, wobei deutsche Leser hier wieder eine Feinheit erfahren sollen.
    Wenn eine türkische Frau ein Lamento anstimmt, dann kann ihr Klagen nicht nur erstaunlich viele Ausdrucksfacetten annehmen, es kann auch ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Eine Klage muss durchaus keine echte Klage sein, sondern kann auch ein verschlüsseltes Signal darstellen.
Etwa, dass die Frau die Aufmerksamkeit auf etwas lenken möchte, das für sie als unaussprechlich gilt. Oder sie könnte die Nerven des Adressaten mit etwas Nebensächlichem strapazieren wollen, um bei ihm die Bereitschaft zu erzeugen, dass man endlich gemeinsam zur Hauptsache kommt. Das mag Europäern, die sich ihre »Wahrheiten« ins Gesicht sagen, ziemlich umständlich vorkommen. Man kann es aber auch so sehen: Dies sind oft die einzig möglichen Formen der Kommunikation, wenn eine Frau aus der für sie unabänderlichen Position der Unterlegenheit heraus ihre Ziele erreichen will.
    Auf alle Fälle passte es zu meiner Mutter. Was also wollte sie mir sagen? Es war etwas in ihrer Stimme, das offenließ, ob sie nun belustigt war oder mich für meinen jugendlichen Rachefeldzug, als ich ihre wohlgefüllte Schatzkammer zerlegte, selbst nach so vielen Jahren noch tadeln wollte. Ich entschied mich, es positiv zu sehen, als Zeichen, dass sie mir zu verzeihen begonnen hatte. Und wie die Zukunft bewies, lag ich damit richtig. Zurück in der Heimat, wurden beide, Muazzez und Turhan, immer milder und zugänglicher. Und meine Hoffnung, mich schließlich mit ihnen auszusöhnen, wurde nicht enttäuscht.
    Es ist still geworden in unserer kleinen Runde. Geburtstage sind eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Wo stehe ich jetzt - in der Mitte meines Lebens? Innig geliebte Menschen sind bei mir. Ist nicht allein das schon wunderbar?

Deutschland für Anfänger
    Darmstadt, im Jahr 1983
     
     
     
     
    A uf der schier endlosen Autofahrt von Susurluk nach Darmstadt stürmten viele neue Eindrücke auf mich ein. Und ich freute mich einfach riesig auf mein neues Leben, was auch immer es bringen würde.
    Als erstes brachte es Regen. Nein, nicht den Regen, den ich kannte. Sondern etwas, für das es auf Türkisch gar kein Wort gibt. Ich erlebte es erstmals auf einem Rastplatz an der deutschen Autobahn. Wir stiegen aus, um etwas essen zu gehen. Aber was war denn das? Ich ging durch Wasserstaub! Überall in der Luft winzige Wasserpartikel, die nicht von oben herabfielen, wie richtige Regentropfen, sondern von nirgendwo herzukommen schienen und einfach überall da waren …
    Und wie seltsam, dass in diesem Land das Gras frisiert wurde! Auf dem Weg vom Parkplatz zum Rasthaus sah ich viel Gras, so grün und voller Leben, wie ich es nie zuvor kennengelernt hatte. Aber es war noch kürzer geschnitten als meine Haare, wenn ich als Kind von der Schur bei unserer betagten Großtante Hairiye zurückkam. Wie ordentlich in Deutschland überhaupt alles war! Auch auf meinem Teller in der Imbissstube des Rasthauses lagen die einzelnen Bestandteile der Mahlzeit getrennt voneinander da.
Jemand musste sich die Mühe gemacht haben, sie fein säuberlich in einzelne Häufchen aufzuteilen. Hier das Gemüse, dort das Putenschnitzel, daneben der Reis mit der Sauce drüber. Kein einziger Tropfen Sauce auf einem anderen Teil des Tellers! Und wie leise die Leute hier waren, sogar beim Essen! Als ob sie sich verabredet hatten, möglichst wenig zu sprechen, und wenn, dann nur mit halber Stimme. Oder waren sie so erschöpft davon, Ordnung in die Welt zu bringen, dass sie keine Kraft mehr hatten, gesprächig zu sein?
    In meinem neuen Zuhause angelangt, komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Bei Oma stand das Gebrauchsgeschirr praktischerweise auf einem Regal. Hier ist es in einen Schrank eingeschlossen. Der hat eine Tür aus Glas, sodass man die Tassen und Teller von außen betrachten kann! Mmmh … die Tasse da mit dem Goldrand, aus der würde ich doch jetzt gern mal ein bisschen Wasser trinken. Das werde ich mir aus dem Wasserhahn zapfen, der müsste doch funktionieren - wir sind ja schließlich in Almanya … Ja, tatsächlich, ganz gleichmäßig und durchsichtig wie flüssiges Glas zischt der Strahl heraus - kein Blubbern und Sprotzen, keine braune Brühe in meinem Trinkgefäß. Na, das wird jetzt aber schmecken! Doch kaum habe ich zum ersten Schluck angesetzt, da wird mir die Goldrand-Tasse

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