Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Und so stehen wir eines Tages vor uns selbst und konstatieren voller Erstaunen: Hoppla, ich bin ja ein ganz anderer Mensch geworden!
Ich war damals natürlich weit davon entfernt, mir solche Erklärungen auszudenken. Ich stellte einfach fest: Etwas war anders geworden, in mir selbst und damit auch zwischen meiner Zwillingsschwester und mir.
Ich haderte nicht mehr damit, dass sie es um so vieles leichter zu haben schien als ich. Ich legte mich sogar freiwillig für sie ins Zeug und half ihr in der Schule: etwas, das ich in Susurluk nur getan hatte, wenn ich mir etwas davon
versprach. So wie ich ein Jahr zuvor, besuchte sie nun die neunte Klasse der Hauptschule. Und sie schaffte es, wie es immer ihre Art zu sein scheint, verblüffend mühelos, das Klassenziel zu erreichen. Ich glaube sagen zu können, dass ich ihr dabei ein wenig helfen konnte, und ich habe es von Herzen gern getan.
Zum Glück gezwungen werden...
Darmstadt, Sommer 1984
A yşe wird eine Lehre als Friseuse machen!«
Da war es heraus. Ein typischer Mädchenberuf also! Meine Mutter hatte sogar schon eine Lehrstelle für mich.
»In dem Friseurladen, wo Aynur früher als Aushilfe gearbeitet hat, da kannst du sofort anfangen.«
Mir fiel die Kinnlade herunter.
»Friseuse?«
Dass ich mich heute immer über das Wort »Friseuse« mokiere, da es doch eigentlich »Friseurin« heißt, schwante mir damals nicht.
»Das interessiert mich doch aber überhaupt nicht!«
Wie nicht anders zu erwarten, fiel meine Reaktion etwas pampig aus. Hatte ich es doch zu meinem Grundsatz erhoben, aus meinem Herzen keine Mördergrube mehr zu machen. Was hatte ich denn noch zu verlieren? Etwa einen gesicherten Platz in euren Herzen, meine geliebten Alamancılar ? Wohl kaum. Meine Aussichten dagegen, das schwarze Schaf unserer Familie zu werden, die schienen sich prächtig zu entwickeln!
Natürlich wurden alle meine Einwände als unerheblich betrachtet. Und was hatte ich dem Willen meiner Eltern auch Konstruktives entgegenzusetzen? Nichts, natürlich.
Ich hatte keine wirklichen Zukunftspläne. In meinem Kopf mischten sich Erinnerungen an kindliche Sehnsüchte und prickelnde Teenagerträume. Hauptsache, eine glänzende Karriere! Welcher Art auch immer. Viel zu nebulös, viel zu flüchtig, um jetzt schon die explosive Kraft zu entfalten, die mich in den ernsthaften Widerstand gegen die elterlichen Pläne treiben würde.
»Du kannst froh sein, dass du überhaupt eine Lehrstelle hast!«
So stauchte mich meine Mutter zusammen, und diesmal war sie nicht geneigt, vor mir zurückzuweichen und die pädagogische Drecksarbeit meinem Vater zu überlassen. Sie zog selbst in die offene Feldschlacht und ließ keinen Zweifel daran, wer hier was zu tun hatte, weil seine Füße noch immer unter dem häuslichen Tisch steckten.
»Und sei froh, dass der Chef mit Aynurs Arbeit so zufrieden war. Sei deiner Schwester dankbar!«
Keine Diskussion.
Damit also begann meine Karriere in meinem heutigen Traumberuf - als Opfer elterlicher Erziehungsgewalt. So sah ich es jedenfalls. Damals.
Ein Salon in einer unscheinbaren Straße von Darmstadt. Ziemlich klein, aber damals waren eigentlich alle Friseurgeschäfte winzig, gegenüber heute. Kein schlechter Laden eigentlich. Nur etwas altmodisch, von der Türklingel bis zum letzten Frisierstuhl. Anscheinend war immer alles super gepflegt worden, und da eine Salon-Ausstattung aus den 50er-Jahren noch unverwüstliche deutsche Qualitätsarbeit war, gab es für den aktuellen Inhaber überhaupt keinen
Grund zur Modernisierung. Ganz wichtig für mich: Das Team war wirklich in Ordnung. Neben mir gab es noch zwei »Stifte« (das Kunstwort »Azubi« existierte noch nicht), eine Gesellin und natürlich den Figaro selbst.
Herr Stepanovic! Ein Serbe in den besten Jahren, der sich selbst als Gentleman alter Schule begriff. Sein Rhett-Butler-Oberlippenbärtchen clippte er sich vor Dienstantritt stets millimetergenau zurecht. Es war natürlich gefärbt, pechschwarz. Ebenso wie seine immer noch volle Haarpracht, die er mit sichtlichem Stolz trug. Damals gab es noch nicht das heute handelsübliche Haargel, das den historischen Durchbruch für einen sturmsicheren Aufbau der Herrenfrisur ermöglichte. Folglich musste bei Herrn Stepanovic jeden Morgen eine ganze Tube Pomade herhalten, um seinem Haupt das fettige Flair eines Late-Latin-Lovers zu verleihen.
Auch wenn mein Maestro physisch mehr an Ivan Rebroff erinnerte als an Hollywood - die Art und
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