Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
eigentlich gar nicht lässig, wie er das »g« in »Lässigkeit« aussprach, dieser Buchstabe knackte an seinem Gaumen wie eine Knallerbse. Aber welche Grandezza!
Was seine Worte über die Deutschen und ihre Ausländer betraf, so vermochte ich deren wirklich tiefe Weisheit damals nicht voll zu ermessen. Immerhin war meine Bereitschaft geweckt, von ihm zu lernen, wie deutsche Wörter »vorn« richtig gesprochen werden, und darauf zu verzichten, mich an ihrem »Hintern« vergeblich abzumühen. Indem ich meinen deutschen Kollegen lauschte, bemerkte ich sehr bald, dass ich einen ziemlich grausamen Dialekt sprach, den ich nachträglich nur als »Türk-Hessisch« bezeichnen
kann. Im Salon Stepanovic durchlief ich eine strenge sprachliche Nacherziehung.
» Tönung . Nicht Dönung . Und nicht guckemol , sondern schau mal .«
In Sachen Spracherwerb befand sich mein Ehrgeiz von Anfang an in einem harmonischen Verhältnis zu den mir gestellten Aufgaben. Aber da hörte die Harmonie auch schon auf. Alles andere, was ich tun sollte, erschien mir mickrig und klein, es befriedigte mich nicht im Mindesten. Natürlich wusste ich immer noch nicht, was ich eigentlich wollte, aber eines schien klar: Das hier konnte es nicht sein. Wie so viele Teenager definierte ich mein Selbstbild und meine Ambitionen nicht darüber, was ich wollte, sondern darüber, was ich nicht wollte.
Es ging gerade noch so, wenn mir aufgetragen wurde, die Haare auf dem Boden zusammenzufegen, Mülleimer zu leeren, Arbeitsinstrumente zu reinigen, sie zu ordnen, bereitzulegen und dergleichen. Eben all jene niederen Aufgaben, die dem »Stift« in Handwerksbetrieben nur zum Schein übertragen werden, damit er etwas lernt, die aber eigentlich dazu da sind, ihn zu disziplinieren und an die lebenslange Monotonie des Arbeitsalltags zu gewöhnen.
Wirklich abstoßend war für mich etwas ganz anderes, und es erscheint mir aus heutiger Sicht als ein deutliches Zeichen dafür, dass ich meine Kindheit endgültig hinter mir gelassen hatte. Einschließlich jener Phase, in der ich als halber Junge burschikos meine sich entwickelnde Weiblichkeit zu ignorieren versucht hatte. Die Heftigkeit meiner Reaktion war allerdings auch ein Zeichen von Unreife und mangelnder Selbstdisziplin.
Ich habe bereits erzählt, wie sehr ich es als kleines Mädchen genossen hatte, meiner Oma die Haare zu waschen. Das geschah nicht unter den besten hygienischen Bedingungen, und damals hatte es mich auch nicht im Geringsten gestört, dass meine Großmutter, nun ja, eben auch ein alter Mensch war. Jetzt allerdings reagierte ich auf die gleiche Aufgabe geradezu allergisch, und das im Rahmen meiner Ausbildung zur Friseurin. Nach drei Wochen war ich deshalb völlig fertig. Ich kam nach Hause und erklärte meiner Mutter:
»Alles, nur das nicht!«
»Was ist denn jetzt schon wieder, Kind?«
»Dieser Beruf ist nichts für mich. Ich will keinen alten Leuten den Kopf waschen, die riechen und so ungepflegt sind!«
Meine Mutter aber ließ sich das nicht bieten. Sie sagte erst mal gar nichts, sondern verpasste mir bloß eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte. Dann machte sie eine eindeutige Ansage.
»Du wirst da hingehen und fertig! Wir haben deinem Chef unser Wort gegeben, und das hast du zu halten.«
So ist das eben in türkischen Familien. Der eine verspricht etwas, und der andere muss es ausbaden! Es war nichts zu machen, ich hatte diesen Beruf zu ergreifen. Punkt. Aber was geschah? Plötzlich machte es »klick« in meinem Kopf. Schon am nächsten Morgen stellte ich fest:
Alles läuft auf einmal deutlich besser.
Wenn ich mich schon nicht wohlfühlte mit meiner Arbeit, so gewann jetzt doch der Drang nach Unabhängigkeit, oder auch nur der Traum davon, die Oberhand. Selbst wenn
ich meinen kompletten Lehrlingslohn, im ersten Jahr 250 Mark, bei meiner Mutter abzuliefern hatte, wusste ich doch: Eines Tages würde mein eigener Verdienst es mir ermöglichen, auf eigenen Füßen zu stehen. Außerdem kannten wir es nicht anders. Alle Geschwister, die schon etwas verdienten, aber noch zu Hause wohnten, arbeiteten auch für die Haushaltskasse. Das Trinkgeld durfte ich ja behalten. Mein erstes selbstverdientes Geld!
Ich fing Feuer. Arbeiten zu gehen und Geld zu verdienen, das allein versprach schon eine bessere Zukunft! Und siehe da, mehr und mehr entdeckte ich die guten Seiten an meinem Job. Er begann mir sogar Spaß zu machen. Und wenn ich schon »Friseuse« werden sollte, dann wenigstens eine richtig
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