Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Susurluk.
Selbst ich, die gefallene Tochter, weiß hundertprozentig, was ich jetzt zu tun habe: Tee aus dem Samowar in Gläser gießen und auf einem Tablett servieren. Aufmerksam und hilfsbereit, ansonsten still und stumm sein. Nur sprechen, wenn ich gefragt werde. Die ergebene Dienerin spielen.
Mittlerweile ist man beim gelösten Smalltalk. Das ist immer so bei uns, ob im Business oder bei der Heiratsverhandlung: Zunächst macht man einen riesengroßen Bogen um das eigentliche Thema. Es scheint nichts Wichtigeres zu geben als die Anreise, das Wetter, die politische Lage. Die Frauen unterhalten sich mit den Frauen, die Männer mit den Männern. Wenn endlich dem Belanglosen und Nebensächlichen nichts mehr abzugewinnen ist, schleicht man sich in persönlichere Themen ein - allerdings zunächst ausschließlich in solche, die mit dem Zweck der Zusammenkunft
nichts oder nur wenig zu tun haben: die Anzahl und das Alter der Kinder, deren schulische Laufbahn, der berufliche Alltag des Familienvorstands und des erwachsenen Nachwuchses.
Bekirs Vater hat mit seiner Familie lange in Hannover gelebt und ist inzwischen wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt, da gibt es genügend Gesprächsstoff für die Väter von Braut und Bräutigam. Alles, was die eigene Familie betrifft, wird im besten Licht geschildert, hier und da ein wenig übertrieben, gern auch ein Witzchen gemacht. Alles hoch ritualisiert! Wie bei einem Gesellschaftstanz, wenn jeder den nächsten Schritt seines Gegenübers genau kennt. Und natürlich lässt der Gastgeber auffahren, was Küche und Keller hergeben. Ich bin heilfroh, dass ich dadurch etwas zu tun habe!
Vater macht mit den Männern Konversation. Babanne führt das Wort unter den Frauen. Und ich werde von Tante Naile auf Trab gehalten. In Windeseile haben wir den Lebensmittelladen um die Ecke fast leer gekauft, um Mezze in jeder Form und Machart zu servieren: gefüllte Weinblätter, Lammfleischpasteten, scharfe Hackfleischbällchen in Tomatensauce, Bulgur-Pilaw , Kräuter-Oliven, Gemüse- Börek , Knoblauchwurst, Safranpudding, Pistazien- Baklava und noch vieles mehr. Am Essen darf bei solchen Anlässen nie gespart werden!
Etwa zwei Stunden später, die Stimmung ist nun merklich entspannter, tritt das Ritual in die entscheidende Phase. Man merkt es daran, dass die Gespräche stocken und schließlich ganz versiegen. Das ist der Moment, in dem die offiziellen Verhandlungen zwischen den Oberhäuptern der
beiden Familien beginnen können. Bekirs Vater, ein kleiner Mann in den besten Jahren, immer noch gut aussehend, hebt nach dem obligatorischen Räuspern an:
»Verehrter Herr, wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Sie um die Hand Ihrer Tochter zu bitten. Ich bitte Sie um die Erlaubnis, Ihre Tochter mit nach Ankara nehmen zu dürfen. Sollten Sie die Güte haben, einzuwilligen, wird dort die Hochzeit in angemessenem Rahmen stattfinden. Wir möchten Sie herzlich bitten, als Stellvertreter der Brautfamilie dabei zu sein, wenn es Ihnen irgend möglich ist.«
Donnerwetter, das war gekonnt. Der Brautvater ist sichtlich beeindruckt. Seine Tochter hat zwar seinen Plan gekippt, dafür aber ganz offensichtlich sogar eine noch bessere Partie gemacht! Dies ist doch eine Familie, die sich wahrlich sehen lassen kann! Ich meine sogar, einen Hauch von Rührung herauszuhören, als er sich nun ebenfalls umständlich räuspert, um mit seiner besten Stimme zu antworten:
»Ich freue mich, lieber Herr, dass Sie uns die Ehre und meiner Tochter die Gelegenheit geben, in eine Familie wie die Ihre hineinzuheiraten.«
Pause. Ich halte den Atem an. Das war zwar vielversprechend, aber immer noch keine klare Zustimmung. Er macht es wirklich spannend! Holt mehrmals tief Luft, ohne jemanden im Raum anzuschauen, bevor er weiterspricht. Seine Stimme wird jetzt ganz leise.
»Hiermit gebe ich Ihnen mein Einverständnis zur Hochzeit.«
Mein Herz macht einen Hüpfer. Mir ist, als würde der massive Ring, der um meine Brust gelegen hat, mit einem
Mal gesprengt. Doch Vater ist noch nicht am Ende. Seine Stimme wird wieder lauter.
»Allerdings …«
Himmel, was hat er denn jetzt noch vor! Ich dachte schon, es sei alles gelaufen.
»… bitte ich um Verständnis, dass dies nur unter einer Bedingung geschehen kann. Ich muss darauf bestehen, dass das Brautpaar hier an Ort und Stelle von einem Hotscha verheiratet wird, bevor Ayşe mit Ihnen nach Ankara reist. Nur wenn Allah seinen Segen gegeben hat, darf Ayşe mit zu ihrer neuen Familie
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