Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
schon beschlossene Sache. Aber jetzt hat er sie wissen lassen, dass er die endgültige Zusage noch ein paar Tage verschieben möchte.«
Keine wirkliche Neuigkeit, aber ein untrügliches Zeichen, dass es immer enger für mich wird. Ein Gefühl wie im Kino, wenn der Film zu Ende ist und auf einmal alle Lichter angehen, sodass man unwillkürlich blinzeln muss: Das also ist die Realität! Da gibt es wirklich einen Mann, der vielleicht in diesem Moment ein Foto von mir in Händen hält und sich auf unsere Trauung vorbereitet. Dessen Blut womöglich bei dem Gedanken in Wallung gerät, mit mir eine dieser Ehen zu führen, die ich immer verabscheut habe! Mit sieben oder acht Kindern, als verschleierte
Frau in einem Kaff der Kaftanträger. Ich, Ayşe, die Freiheitsliebende! Niemals! Erneut steigt eine Welle aus Wut und Empörung in mir hoch. In eine solche Ehe lasse ich mich nicht zwingen! Lieber sollen sie mich in Schimpf und Schande davonjagen!
Die Zeit verging wie zäher Schneckenschleim. Und mit jeder Stunde, die verrann, schwand meine Hoffnung ein Stückchen mehr. Wie brannte ich darauf, zu erfahren, was die Tante mit Bekir besprochen hatte. Sie aber hielt sich komplett bedeckt. Nichts war aus ihr herauszubekommen. Wahrscheinlich wusste sie selbst nicht, was geschehen würde.
Der folgende Sonntag. Mein Schicksalstag. Ich reibe mir die Augen, um sicher zu sein, dass ich nicht träume: Bekir steht vor mir. In unserem Hof. Mit seiner gesamten Familie im Gefolge. Der Himmel öffnet sich! Heute würde ich sagen: Wieder so ein Fall, in dem die Wunscherfüllungszentrale des Universums funktionierte - und diesmal ganz ohne Zettel.
Bekir, mein Held und Retter! Ist mir nichts dir nichts nach Ankara geflogen. Hat seine Familie mobilisiert. Hat ihnen mitgeteilt, er habe ein Mädchen gefunden, das er unbedingt heiraten will. Jetzt oder nie. Dass es nur diese eine Chance gebe, sonst würde sie verheiratet. Und sein Wunsch fiel auf fruchtbaren Boden. Seine Leute hatten ja schon fast alle Hoffnung aufgegeben, ihn einmal als Familienvorstand zu sehen. Aber jetzt! Überglücklich, dass es endlich so weit war, entschlossen sich auch noch zwei Tanten ganz spontan, ihn und die Eltern auf der Brautschau zu eskortieren.
Alles an dieser Situation ist ritualisiert. Bekir begrüßt mich mit Handschlag. Seine Hand ist feucht. Für einen Sekundenbruchteil tut sich ein emotionaler Abgrund in mir auf. Kenne ich diesen Mann überhaupt? Er ist mir so fremd, als hätte ich ihn nie zuvor gesehen. Doch er bringt es fertig, mich zu retten!
Wozu das ebenso pompöse wie banale Begrüßungspalaver unter zwei türkischen Familienvorständen doch gut sein kann! Zum Beispiel dafür, dass die Person, um deren Schicksal es hier geht (die dabei allerdings voll und ganz im Hintergrund zu bleiben hat), ihre Fassung wiedergewinnen kann. Genug Zeit bietet sich ja währenddessen.
Das Begrüßungszeremoniell beginnt mit einem schlichten:
»Verehrter Herr Soundso, wie geht es Ihnen?«
Die Antwort, egal ob der Angesprochene putzmunter oder todkrank ist, lautet unweigerlich:
»Oh, vielen Dank. Gut. Sehr gut, um ehrlich zu sein. Und wie geht es selbst, verehrter Herr Wie-auch-immerder-Name?«
»Na, auch gut, ja wirklich!«
Bekräftigendes Kopfnicken auf beiden Seiten. Die zweite Fragerunde wird eingeläutet.
»Und, wie ist das Befinden der charmanten Gattin?«
Die Antwort liegt auf der Hand. Die Gegenfrage ebenfalls. Es folgen weitere Fragerunden: nach dem Wohlergehen der Kinder, der Eltern, von Oma und Opa … Einschließlich der entsprechenden Antworten, natürlich.
Endlich bittet der Gastgeber die Besucher, einzutreten und Platz zu nehmen. Da Babannes Haus über keine gute
Stube verfügt, lässt man sich in der Sitzecke in der Laube nieder. Nicht, dass dies jemanden stören würde, im Gegenteil. Je wichtiger der Anlass, desto intimer darf auch die gewählte Umgebung sein. So bleibt für jeden, auch für den Ärmsten, die Möglichkeit, das Gesicht zu wahren.
Denn hierbei geht es, jedenfalls im Sinne der Tradition, keinesfalls um äußerliches Repräsentieren. Vielmehr darum, sich gegenseitig die Ehre zu erweisen. Und das hat etwas mit Würde zu tun, einer Würde, die vom Stolz auf die eigene Familie, von deren gutem Ruf und von einer traumwandlerisch sicheren Beherrschung der gesellschaftlichen Etikette lebt. Das war schon in den Zelten der Beduinen zu Muhammads Zeiten so, nicht anders als beim Empfang der Gäste im »Erdhaus« unserer Familie in
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