Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Bilder und Amulette mit blauen Augen, scheinbar absichtslos verteilt. Ich finde, es sollte in einer Wohnung etwas geben, das sofort die Blicke auf sich zieht. Nicht, um vor Gästen damit anzugeben, sondern um als Anlass zum Gespräch zu dienen und zum Gedankenaustausch einzuladen. In diesem Fall hatte ich etwas gewählt, das sofort mit meiner Heimat in Verbindung gebracht würde und doch leicht verrätselt war. Georg war der Erste, dem ich es erklärte:
»Blaue Augen schützen vor dem bösen Blick, sagt man bei uns. Und auch wenn wir beide nicht abergläubisch sind, mein Lieber, kann es doch nicht schaden, wenn unsere erste Wohnung den Schutz der geistigen Welt genießt.«
Georg griff meine Gedanken auf seine Art auf:
»Und außerdem - je mehr Augen unser Glück sehen, desto mehr strahlt es in alle Welt hinaus.«
Wow, er konnte so romantisch sein! Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es ruhig eine noch kräftigere Prise Orient sein dürfen. Für mich aber war es so gerade richtig: Nicht zu viel vom Alten, damit das Neue wachsen konnte.
Das Leben ist eine Wundertüte. Man weiß nie, was sie enthält, und sobald sie geöffnet ist, kommen die Überraschungen ganz von allein. Manches bleibt schon zwischen den Zähnen kleben, anderes zergeht geradezu auf der Zunge, liegt aber schwer im Magen. Was die Wundertüte Leben mir in jener Zeit bescherte, schmolz im Mund wie Mäusespeck und berührte mein Inneres wie prickelndes Brausepulver. Zudem erhielt ich eine Lektion, die mich etwas sehr, sehr Wichtiges lehrte. Praktisch alles, was ich bisher konnte, hatte ich mir mühsam erarbeiten müssen. Nun aber floss mir jene Fülle, von der ich heute weiß, dass das Leben sie immer für uns bereithält, einfach zu.
Es faszinierte mich, wie unbefangen mein neuer Lebensgefährte seine erste feste Beziehung anging. Quasi über Nacht hatte er die Rolle des verwöhnten Sohnes gegen die des verantwortungsvollen Familienvaters eingetauscht. Und das, obwohl sein Ziehsohn noch kein einziges Wort deutsch sprach. Ich bewunderte Georg dafür, wie
leicht und dennoch beherzt er die Vaterrolle übernahm, obwohl er null Gelegenheit gehabt hatte, sich darauf vorzubereiten. Hätte ich mich ihm nicht so nahe gefühlt, wäre ich wahrscheinlich neidisch geworden auf diesen Menschen, der so leicht wie ein Vogel durchs Leben zu gleiten schien.
Wie oft hatte ich mich gefragt: Ist das Leben nicht ungerecht, indem es den einen ständig Knüppel zwischen die Beine wirft und sie nur kämpfen lässt, während die anderen im gemachten Nest leben dürfen und ihnen obendrein noch alles Glück der Welt hinterhergeworfen wird? Ehrlich gesagt, nur wenige Wochen zuvor wäre ich noch in diese Gedankenfalle getappt. Jetzt aber schützte mich davor meine Liebe und das Erleben eines ungekannten Glücks. Und heute weiß ich, dass es nicht das Schicksal ist, welches darüber entscheidet, ob wir uns grundsätzlich wohlfühlen oder nicht. Was den Unterschied macht, ist vor allem, ob wir selbst im Opferbewusstsein gefangen bleiben oder ob wir uns davon befreien. Mit unseren Gedanken erschaffen wir uns die Welt, in der wir - als empfindende Wesen - leben!
Wie selbstverständlich flog Georgs luftig-leichte Lebensart auch mir zu, so wie eine sommerliche Meeresbrise. Als Paar tanzten wir leichtfüßig über zwei Welten hinweg. Jeder sog bereitwillig das Naturell des anderen in sich auf. Er ließ sich von meiner südländischen Spontaneität und Emotionalität mitreißen, mir gefiel seine typisch deutsche Art, ohne viel Aufhebens zielvoll zu denken und zu handeln. Zum ersten Mal überhaupt kam ich nun mit christlichen Bräuchen in Berührung. Es war wie eine Art Initiationsritus unter Frauen, als Georgs Mutter mich in der Adventszeit ins
Plätzchenbacken einführte. Erstmals Weihnachten im Kreise der Familie zu feiern war ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde.
Jeder von uns beiden warf sein verdientes Geld in den gemeinsamen Haushaltstopf. Auch das alles andere als selbstverständlich für mich, die ich als Mädchen meinen Lohn vollständig beim Vater hatte abliefern müssen und das selbst verdiente Geld als Ehefrau nur mit Mühe vor dem Gatten zu schützen vermochte, um der Familie wenigstens halbwegs das Auskommen zu sichern. Wir zwei dagegen finanzierten alles gemeinsam: Miete und Kleidung, Essen und Trinken, auch den einen oder anderen Urlaub. Mal in der Türkei, mal im Ferienclub auf Fuerteventura.
Im Prinzip machten wir genau das, was uns gefiel.
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