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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse Auth
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Auch all die Dinge, die man in deutschen Kleinfamilien halt so unternimmt. Wir gingen mit Cenk ins Kindertheater, besuchten an den Wochenenden Freizeitparks, zelebrierten Kindergeburtstag. Georgs Vater brachte dem Kleinen das Reiten bei, während wir uns im Kino amüsierten. Nein, wir hatten keinerlei Scheu vor dem Image einer »Familie Biedermann« - niemand wusste besser als wir selbst, dass unser Zusammenleben an sich schon eine reife Leistung an Toleranz, Offenheit und der Bereitschaft, Neues willkommen zu heißen, darstellte. Auch Cenk ging wie selbstverständlich mit. Mehr und mehr vergaß er sein Türkisch und schaltete irgendwann komplett auf Deutsch um. Aber tief in seinem Inneren muss es doch schwer gearbeitet haben …
    Ach, Cenk, nie hätte ich es fertiggebracht, dir deinen leiblichen Vater vorzuenthalten. Georg unterstützte mich
in dieser Haltung, und zwar nicht etwa, um Cenk loszuwerden, sondern weil auch er meinte, dass jedes Kind das Recht auf eine Beziehung zu beiden Elternteilen hat.
    Doch leichter gesagt, als getan. Wie so viele Patchworkfamilien mussten auch wir die Erfahrung machen, dass ein Kind sehr leicht zum Symptomträger der Trennungsschwierigkeiten seiner Eltern wird. So erklärte es mir die Psychologin, die ich irgendwann aufsuchen musste. Zunächst war Cenks Verhalten im Kindergarten auffällig geworden. Er suchte dort ständig seinen eigenen Weg und fasste kein Vertrauen zu den Erzieherinnen. Um seinen Kopf durchzusetzen, bewies er viel kindliche Fantasie und erfand ganz erstaunliche Ausreden. Zunächst nahmen es die Kindergärtnerinnen noch mit Humor, wenn er zum Beispiel behauptete, er möge nur grüne Äpfel, wenn es rote zu essen gab. Aber als er immer anfing, laut zu singen, wenn die Kinder zum Mittagsschlaf in ihren Betten lagen, wurde es ihnen doch zu viel.
    Zum Verhängnis wurde meinem Sohn möglicherweise auch unsere Toleranz und Offenheit gegenüber seinem leiblichen Vater. Cenk verbrachte jetzt jedes zweite Wochenende bei Bekir. Dazu musste er nach Hannover gebracht und wieder abgeholt werden, was für alle Beteiligten schon nicht ganz einfach war, ganz zu schweigen von der Umgewöhnung. Es wäre vielleicht noch gut gegangen, wie bei anderen Scheidungskindern ja auch, wenn nur sein Vater sich wenigstens dieses eine Mal, im Interesse seines eigenen Sohnes, als Teamplayer erwiesen hätte. Stattdessen verhielt er sich alles andere als neutral, geschweige denn wohlwollend gegenüber der nun bestehenden neuen
Familienkonstellation. Mit allen Mitteln versuchte er Cenk auf seine Seite zu ziehen und machte keinen Hehl aus seiner Aversion gegenüber Georg. Leider ging diese Rechnung auf. Cenk verhielt sich zunehmend distanziert gegenüber seinem Stiefvater und begann sogar offen zu rebellieren.
    »Du hast mir nichts zu sagen, du bist nicht mein Vater.«
    Daran war auf Dauer nicht viel zu ändern, so sehr wir uns auch bemühten. So war klar, dass Georg sich irgendwann von meinem Jungen zurückziehen würde. Und natürlich warf das auch einen Schatten auf die Beziehung zwischen mir und ihm.
    Als Cenk in der Schule war, kamen zu seinen Verhaltensproblemen noch Lernschwierigkeiten hinzu.
    »Ihr Sohn ist hyperaktiv, er leidet unter dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom«, hieß es vonseiten der Lehrer. Cenk könne sich nicht konzentrieren, er zöge ständig die Aufmerksamkeit auf sich und störe den Unterricht.
    Natürlich machte ich mir darüber eine Menge Gedanken. Und wiederum ein schlechtes Gewissen. Aber welche Mutter würde sich nicht fragen, ob nicht sie selbst Ursache des Problems ihres Kindes ist? Schon in seinen ersten Lebensjahren hatte mein kleiner Cenk so viel mitmachen müssen, und meist im Gefolge von Verwerfungen in meinem eigenen Leben. Dazu der plötzliche Umzug in eine andere Stadt und der Aufbau einer für uns beide ganz neuen Lebenswelt. Und dann musste der Arme noch mit zwei Vätern klarkommen, die einander nicht gerade grün waren.
    Von der Psychologin war ich darauf aufmerksam gemacht geworden, dass durch die Probleme eines Kindes auch die Probleme seiner engsten Bezugsperson ausagiert
werden - also meine eigenen Probleme. Und lag es nicht auf der Hand? Cenks Auffälligkeit, seine Renitenz, sein abweisendes Verhalten waren ein stiller Schrei nach Liebe! So wie ich selbst als Kind unersättlich nach Liebe gesucht hatte, so auch er! Und so verzweifelt wie ich selbst hatte beachtet und bewundert werden wollen, so verbissen kämpfte auch er jetzt darum, ständig und

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