Freiheit statt Kapitalismus
gekündigt werden. Und der profitabelste Riester-Sparer ist für die Geldindustrie jener, dem in den ersten fünf Jahren die Puste ausgeht. Dann sind die höchsten Provisionen verdient und der Anbieter muss sich mit dem Minivertrag nicht weiter rumärgern. Zum Glück für die Finanzkonzerne gibt es diese kurzatmigen Riester-Sparer angesichts eines sich ausweitenden Niedriglohnsektors immer häufiger. Allein 2008 soll es mindestens 480 000 Vertragsstornierungen gegeben haben. Zumindest ist das die offizielle Zahl, die von der Versicherungswirtschaft an den Finanzminister gemeldet wird. Andere Quellen (
Focus
und
Tagesspiegel
vom 8. und 9. 12. 2008) sprechen von knapp 1 Million Stornierungen. Die Bundesregierung gibt vor, die Zahl der Stornierungen nur für Versicherungsverträge zu kennen, und beziffert sie mit insgesamt 1,4 Millionen bis Ende 2008. Nach einer Studie im Auftrag der Postbank vom Oktober 2009 allerdings hatte allein 2008 jeder fünfte Berufstätige seine Beiträge zur privaten Altersvorsorge gekürzt oder die Zahlung ganz eingestellt. Die Datenlage ist unübersichtlich und soll es nach dem Willen der Bundesregierung auch bleiben. Aber völlig klar ist: Wer arbeitslos wird oder durch Kurzarbeit, Outsourcing, Leiharbeit etc. einen erheblichen Teil seines Einkommens verliert, kann den einmal begonnenen Riester-Vertrag in der Regel nicht weiterführen.
Greise im Glück
Aber selbst wer bis zum bitteren Ende durchhält, kann noch lange nicht sicher sein, dass er wenigstens seine eingezahlten Beiträge zurückerhält. Die Verpflichtung für die Anbieter, den Nominalwert der Ersparnisse zu Beginn der Auszahlungsphase in den Büchern zu haben, bedeutet nämlich längst nicht, dass der Rentner dieses Geld auch wirklich bekommt. Die monatliche Rente wird ausgehend von einer fiktiven Lebenserwartung berechnet, die nur wenige Glückliche erreichen. Denn viele Versicherungen legen ihrer Kalkulation eine Altersgrenze zugrunde, die zehn Jahre über der derzeitigen statistischen Lebenserwartung liegt. Es gibt zwar auch Verträge, bei denen die nach dem Ableben verbliebene Restsumme dann wenigstens an die Erben ausgeschüttet wird. In den meisten Fällen aber ist sie futsch, genauer: ins Eigentum des Versicherers oder der Bank übergegangen.
Verschiedene Studien haben berechnet, dass die »Renditephase« bei privaten Rentenversicherungen frühestens mit 85 Jahren beginnt. Klaus Jaeger, Riester-Experte und Professor für Wirtschaftstheorie an der FU Berlin, kommt nach Musterrechnungen sogar zu dem Schluss, dass man seinen 90. Geburtstag erleben muss, damit die Riesterei sich auszahlt. 128
Kein Wunder, dass angesichts dieser Praktiken selbst das kaum als linkes Kampforgan bekannte
Handelsblatt
zu dem Ergebnis gelangt: »Die Riester-Rente lohnt sich oft mehr für den Anbieter als für den Sparer. Entsprechend aggressiv wird sie gepuscht.« 129
Ausgenutzte Ahnungslosigkeit
Dass die Verträge trotzdem Abnehmer finden, ist nicht erstaunlich. Mit den potentiellen Riester-Rentnern hat der Staat den Banken und Versicherungen Menschen in die Arme getrieben, die in ihrem bisherigen Leben in der Regel keine großen Vermögen anzulegen hatten und entsprechend wenig geübt sind, aus dem Kleingedruckten komplizierter Verträge ihr letztliches Soll und Haben herauszulesen. Auch ist das Grundvertrauen bisher nicht totzukriegen, dass Finanzprodukte, die der Staat bezuschusst und bewirbt, schon niemanden um seine Spargroschen bringen werden. Und die meisten Riester-Verträge sindbewusst so abgefasst, dass der zukünftige Rentner ein Experte sein muss, um die eingebauten Finten und Fallen zu erkennen.
Die Stiftung Finanztest hat sich eine ganze Palette von Verträgen angesehen und festgestellt, dass kein einziger auswies, welche Kosten dem Kunden bereits für Abschluss, Vertrieb und Verwaltung in Rechnung gestellt werden. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) kritisiert die mangelnde Offenlegung der Kosten, zweifelhafte Vertriebsmethoden, schlechte Beratung sowie unverständliche Verbraucherinformationen. Das Deutsche Institut für Servicequalität (DISQ) belegt in einer Studie, dass Riester-Berater in der Regel besonders risikoreiche Produkte anbieten und Kundenwünsche ignorieren. Der bereits zitierte Bamberger Professor Oehler fasst die aktuelle Marktlage unter dem Titel »Altersvorsorge in Deutschland: Mängel mit System?« (nachzulesen auf der Uni-Homepage) zusammen:
»Eher dürfte ein Verbraucher
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