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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sahra Wagenknecht
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Misswirtschaftler und Politikerversorger (»Bezahlt wird später …«) diese Beispiele ergänzen würden, wird lieber nicht gefragt. Wer zu differenzieren wagt, hat die geballte Medienmacht zum Gegner und sieht sich bald für Bitterfelder Umweltgifte, bald für DDR-Kleinwagenmodelle in Haftung genommen.
    Dieses Schicksal ereilte etwa den Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, als er im Frühjahr 2009 den vernünftigen Vorschlag machte, der deutsche Staat solle doch lieber als Eigentümer bei Opel einsteigen, statt dem Mutterkonzern General Motors eine unverbindliche und konditionslose Milliardenbürgschaft zu gewähren. Die nachfolgende Entwicklung hat Bofinger recht gegeben. Öffentliche Eigentumsanteile hätten verhindert, dass der US-Autobauer Opel-Belegschaft wie Bundesregierung in der Weise an der Nase herumführen kann, wie er es getan hat, und die Arbeitsplätze in den deutschen Werken wären heute erheblich sicherer, als sie es jetzt sind. Dessen ungeachtet hatte Bofingers Vorschlag nicht den Hauch einer Chance. Um ihn niederzumachen, wurde als vermeintlich zwangsläufige Folge des Staatseintritts das Gespenst eines VEB-Opel heraufbeschworen, bei dem künftig nur noch Trabis vom Band rollen würden. Klappe zu, Affe tot, Debatte beendet.
    Ähnlich irrational verlaufen die meisten Diskussionen über Staatseigentum oder staatliche Beteiligungen. Statt mit Argumenten wird mit Bauchgefühlen gearbeitet. Und das Bauchgefühl ist bei Verbindungen von Staat und Wirtschaft spätestens seit 1990 ausgesprochen schlecht. Aber das Thema ist zu wichtig, um es wegen diffuser Gefühle zu den Akten zu legen. Wir wollen uns daher im Folgenden ansehen, inwieweit die Erfahrungen, die mit Verstaatlichungen von Industrieunternehmen in der Geschichte gemacht wurden, besagtes Bauchgefühl tatsächlich rechtfertigen – oder ob wir nicht einem von interessierten Kreisen sorgsam gehegten Mythos aufsitzen.
    Dabei werden uns im Folgenden ausdrücklich nicht die Verstaatlichungserfahrungen in Osteuropa und der Sowjetunion interessieren. Denn die Spezifik des östlichen Gesellschaftsmodells bestand ebennicht allein in der Veränderung der Eigentumsverhältnisse, sondern vor allem in dem Versuch, Marktbeziehungen zwischen den Unternehmen durch eine detaillierte Planung der gesamten Volkswirtschaft zu ersetzen. Es spricht viel dafür, dass die Ineffizienz der östlichen Wirtschaften auf diesen Ansatz und, eng damit verbunden, auf fehlende bzw. falsche Anreizsysteme zurückging. Zudem wurden in Osteuropa eben nicht nur große Industriebetriebe verstaatlicht, sondern auch relativ kleine, was zusätzliche Probleme verursachte. Eine seriöse Untersuchung der osteuropäischen Wirtschaftsgeschichte, die durchaus nicht so homogen und einheitlich war, wie sie oft dargestellt wird, wäre ein interessanter und lohnender Gegenstand für ein eigenes Buch, und man kann sich nur wünschen, dass sich irgendwann Historiker finden, die sich dieses Themas ohne Hysterie und Vorurteile annehmen.
    Unser Thema allerdings ist ein anderes. Hier geht es nicht um die historischen Probleme des osteuropäischen Wirtschaftsmodells, sondern um die Performance von Staatsunternehmen in einem Marktumfeld. Wir werden uns daher im Folgenden mit den Erfahrungen beschäftigen, die in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg in kapitalistischen Gesellschaften mit staatlichem Industrieeigentum und staatlichen Industriebeteiligungen gemacht wurden. Besonders ergiebig ist diesbezüglich die westeuropäische Geschichte.
    Frankreich: Der Staat als Modernisierer
    Anders als Deutschland stand Frankreich nach 1944 nicht nur vor dem Problem des wirtschaftlichen Wiederaufbaus, sondern zugleich vor einem akuten Modernisierungsproblem. Die Industrialisierung war im 19. Jahrhundert ins Stocken geraten und hatte sich seitdem nur zögernd, in vielen Bereichen gar nicht durchgesetzt. Im Ergebnis befand sich Frankreich in einem erheblichen industriellen Rückstand gegenüber seinen Nachbarn. Die Landwirtschaft war noch 1945 der stärkste Sektor der französischen Wirtschaft und beschäftigte mehr Menschen als die Industrie.
    Infolge dieser Entwicklung waren nach 1944 alle relevanten politischen Kräfte Frankreichs überzeugt, dass die gewünschte Modernisierung nicht dem Markt und den privaten Unternehmen überlassenwerden kann, die ja den eingetretenen Rückstand zu verantworten hatten. Stattdessen sollte die Modernisierung durch staatliche Impulse und Lenkungsmaßnahmen vorangetrieben werden. Ihre

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