Freiheit statt Kapitalismus
verbessern konnten. Die Löhne und Arbeitsbedingungen waren zumindest teilweise besser als in privaten Unternehmen. Die Bezahlung der Führungskräfte wiederum war deutlich niedriger als in der Privatwirtschaft.
England: Der Staat als Subventionierer der Privatwirtschaft
Auch in Großbritannien fanden in der unmittelbaren Nachkriegszeit umfangreiche Verstaatlichungen statt. Die erste Nationalisierungsmaßnahme der damaligen Labour-Regierung bezog sich auf die Bank of England, die bis dahin, obwohl Zentralbank, in Privatbesitz geblieben war. Es folgten die Kohlebergwerke, die Telegraphengesellschaft, die zivile Luftfahrt, Elektrizität und Gas, fast alle Zweige des Transports mit Ausnahme der Schifffahrt, schließlich 1950 Eisen und Stahl. Allerdings wurde die Eisen- und Stahlindustrie von der folgenden konservativen Regierung bereits 1953 wieder privatisiert, 1967 von Labour wieder verstaatlicht und 1970 von den Konservativen erneut teilprivatisiert.
Organisiert waren die britischen Staatsunternehmen in Form sogenannter Public Corporations. Die Public Corporations unterstanden nicht unmittelbar dem Parlament und ihr Budget war auch nicht Teil des Staatshaushalts. Der staatliche Einfluss machte sich darin geltend, dass der zuständige Fachminister die Vorstände bestellte und grundlegende Strategien der Unternehmensführung – beispielsweise große Investitionsprojekte – mit ihm abzustimmen waren. Außerdem besaß der Staat Einfluss auf die Preisgestaltung. Die Statuten der Public Corporations legten fest, dass die Industrien dem Prinzip der Bedürfnisbefriedigung zu folgen und sowohl Produzenten wie Konsumenten wirksame Mitspracherechte zu gewähren hätten. Um Letzteres zu gewährleisten, wurden bei den verstaatlichten Industrien sogenannte Konsumentenräte gebildet, die allerdings nie eine relevante Rolle spielten. Im Bereich Eisen/Stahl blieben die Betriebe separate, miteinander im Wettbewerb stehende Einheiten.
Im Kohlesektor trat der National Coal Board an die Stelle von rund 800 privaten Bergwerksgesellschaften, die vielfach äußerst ineffizient mit veralteten Technologien gewirtschaftet hatten und aufgrund ihrergeringen Größe auch nicht in der Lage waren, ausreichende Investitionen durchzuführen. Die Bergwerke – wie sämtliche verstaatlichten Unternehmen – wurden nach der Verstaatlichung reorganisiert und modernisiert. Die Arbeitsproduktivität in den Public Corporations war im Schnitt ebenso hoch wie im privaten Sektor und erkennbar höher als in den teilweise privaten amerikanischen Infrastrukturindustrien. 165 Ähnlich wie in Frankreich war in England »die öffentliche Kapitalbildung regelmäßig größer als die private«. 166 Hinzu kam, dass die Investitionstätigkeit der Public Corporations auch in Konjunktureinbrüchen stabil blieb, was auf die Gesamtwirtschaft stabilisierend wirkte. Zusammenfassend wird hinsichtlich der britischen Verstaatlichungspolitik in dem bereits zitierten Band des Wiener Wirtschaftsprofessors über die Gemeinwirtschaft in Europa eingeschätzt, »dass die Sozialisierung bei alten sowie bei neuen Industrien zu Leistungen geführt hat, welche diejenigen der Privatwirtschaft erheblich übertreffen«. 167
Dass die Kohlebergwerke dennoch nur in wenigen Jahren die Profitabilitätsschwelle überschritten, hatte in erster Linie mit der staatlich verordneten Preispolitik zu tun, die sie verpflichtete, Kohle weit unterhalb des Marktpreises abzugeben. Für private Haushalte hatte das den Vorteil niedriger Heizkosten. Zugleich aber kam diese Preispolitik einer Dauersubventionierung der privaten Wirtschaft gleich, was unter der konservativen Regierung ganz sicher auch mit deren genereller Abneigung gegenüber den verstaatlichten Sektoren und ihren bis in die Siebziger außerordentlich kampfstarken Belegschaften zu tun hatte. So wurden die im öffentlichen Bereich erwirtschafteten Gewinne am Ende doch wieder privatisiert. Anders als die Kohlegruben waren die öffentlichen Elektrizitäts- und Gasversorger allerdings trotz der ebenfalls günstigen Preise in nahezu allen Jahren profitabel.
Insgesamt schätzt der britische Wirtschaftshistoriker Robert Millward, dass die Gewinne in den Public Corporations in den fünfziger Jahren ausreichend waren, um die Betriebskosten und die Abschreibungen zu decken, Verluste allerdings durch die erheblichen Zinszahlungen (die Public Corporations finanzierten ihr hohes Anlagevermögen ausschließlich über Fremdkapital) entstanden. In den
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