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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sahra Wagenknecht
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solchen Ausverkauf öffentlicher Verantwortung und zum alten Laissezfaire ungehemmter Profitmacherei entstanden war. Geprägt wurde der Terminus von dem deutschen Sozialwissenschaftler und überzeugten Ordoliberalen Alexander Rüstow, der ihn zum ersten Mal 1938 aufeiner internationalen Konferenz in Paris verwandte, um der dort vertretenen Denkrichtung einen Namen zu geben.
    Allerdings war das Meinungsspektrum der auf besagter Tagung versammelten Volkswirte und Intellektuellen ziemlich vielfältig und schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Initiator des Zusammentreffens war der amerikanische Publizist Walter Lippmann. Namhafter Teilnehmer neben Rüstow war der dem Ordoliberalismus ebenfalls nahestehende deutsche Soziologe Wilhelm Röpke, der wie Rüstow zu jener Zeit im Exil in Istanbul lebte und lehrte. Darüber hinaus nahm eine Reihe französischer Philosophen und Ökonomen teil. Angereist waren aber auch die österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek, die bereits wenige Jahre später wieder – gemeinsam mit den Chicago Boys um Milton Friedman – für einen blinden Marktradikalismus und die Selbstentmachtung des Staates eintraten.
    Zumindest für die Mehrzahl der damals Beteiligten allerdings stand das »neo« vor »liberal« tatsächlich für die Einsicht, dass die »unsichtbare Hand« des Marktes eben nicht »ohne weiteres Formen [schafft], in denen Einzelinteresse und Gesamtinteresse aufeinander abgestimmt werden«, 3 wie der wichtigste Vertreter des Ordoliberalismus, der Freiburger Universitätsprofessor Walter Eucken, den neuen Ansatz zusammenfasste. Eucken hatte in seinem Hauptwerk, den 1939 erschienenen
Grundlagen der Nationalökonomie,
die Theorie der Wirtschaftsordnungen entwickelt und plädierte für eine bewusste staatliche Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
    Der solchen Gedanken nahestehende Soziologe und Vertreter der Kölner Schule Alfred Müller-Armack formulierte das neue Programm folgendermaßen:
     
    »Wir sehen heute klarer, wie sehr der wirtschaftspolitische Liberalismus irrte, wenn er den freien Markt als Automatismus auffasste. Wir wissen heute, dass der Liberalismus die Frage der politischen und wirtschaftspolitischen Sicherung seiner Ordnung geradezu sträflich vernachlässigte und sich auch darin irrte, dass er den Preismechanismus als eine völlig in sich funktionierende Maschinerie betrachtete. Wie jede Maschine einer sinnvollen menschlichen Steuerung und Lenkung bedarf, so auch hier.« 4
     
    Insbesondere Walter Eucken und Alfred Müller-Armack waren die geistigen Väter des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft, dem die bundesdeutsche Wirtschaftspolitik der ersten Nachkriegsjahrzehnte wichtige Konturen verdankte. Eucken hatte die Leitlinien dieser Idee vor allem in seinem 1952 posthum erschienenen Buch
Grundsätze der Wirtschaftspolitik
niedergelegt. Die wichtigste Publikation von Alfred Müller-Armack zu diesem Thema war 1947 unter dem Titel
Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft
erschienen.
    Politisch ist die Umsetzung des von ihnen entwickelten Konzepts vor allem mit dem Namen Ludwig Erhard verbunden, dem langjährigen Wirtschaftsminister der Adenauer-Regierung und späteren Bundeskanzler. Der Titel seines populärsten, 1957 veröffentlichten Buchs lautete:
Wohlstand für Alle.
Das war das grundlegende Versprechen der sozialen Marktwirtschaft.
    Bis heute geben sich Politiker nahezu aller bundesdeutschen Parteien gern als soziale Marktwirtschaftler, besonders emsig wird dieses Ritual wieder seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise gepflegt. Die originären ordoliberalen Vorstellungen allerdings haben ihren Einfluss auf die reale Politik längst verloren und wurden seit Mitte der achtziger Jahre durch die
neoliberale
Doktrin im anfangs genannten aktuellen Verständnis abgelöst.
    Der Zeitgeist der Nachkriegsjahre
    Der Liberalismus alten Schlags hatte Mitte des vergangenen Jahrhunderts seine Unschuld verloren. Immerhin hatte die Welt gerade durchlitten, in welche Hölle die ungebändigte Profitgier wirtschaftlicher Machtverbünde führen kann: Die verheerende Weltwirtschaftskrise, Hunger und Elend der beginnenden dreißiger Jahre waren noch in wacher Erinnerung. Gerade erst waren Deutschland, Italien und die besetzten Länder von barbarischen faschistischen Diktaturen befreit worden, die Großindustrie und Oberschicht ein reichliches Jahrzehnt zuvor installiert hatten. Der zur Neuaufteilung der Welt ausgelöste Bombenkrieg hatte

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