Freiheit statt Kapitalismus
Mythos. Der Staat spielt in allen Industrie- und Schwellenländern eine wichtige wirtschaftliche Rolle: als Finanzier von Forschung und Innovation, als Verteiler von Subventionen, teils auch als aktiver Industriepolitiker und Unternehmenseigentümer. Allerdings erfolgt das staatliche Engagement ausschließlich zum Nutzen der privaten Konzerne und ihrer Eigentümer, denen Verluste oder notwendige langfristige Investitionen abgenommen werden, während die dank dieser Staatsgelder erzielten Gewinne ungeschmälert in private Taschen fließen.
Ein Problem bei vielen Verstaatlichungen der Vergangenheit bestand, wie wir gesehen haben, darin, dass sie einem ähnlichen Schema folgten. Der Staat übernahm in erster Linie unrentable Unternehmen und Krisenbranchen, die hohe Verluste schrieben und andernfalls hätten Konkurs anmelden müssen. Er stützte und sanierte sie mit Steuergeld. War diese Strategie erfolgreich und begannen die Unternehmen, wieder profitabel zu arbeiten, wurden sie in der Regel erneut privatisiert. Oder der Staat subventionierte über gezielt niedrige Preise der staatseigenen Grundstoffindustrie die Privatwirtschaft und nahm dafür, wie in Großbritannien, Verluste in Kauf.
Der Staat als Firmenlazarett
Nicht wenige Großindustrielle haben das Spiel mit Verstaatlichungen und Privatisierungen sogar zum Bestandteil ihrer Profitstrategie gemacht. Ein Beispiel dafür ist der deutsche Industriemagnat Friedrich Flick, der sich bis 1931 die größte Machtposition in der deutschen Montanindustrie zusammengekauft hatte. Ihm gehörten u. a. die Gelsenkirchener Bergwerks-AG, die Vereinigten Stahlwerke und die Stahlproduzenten Maxhütte und Mittelstahl. Flick hatte immer wieder Teile seines Imperiums – in der Regel zu überhöhten Preisen – an den Staat verkauft, um sie unter für ihn günstigeren Umständen wieder zurückzukaufen.
Der österreichische Soziologe und Erste Vizepräsident der Österreichischen Liga für Menschenrechte Rudolf Goldscheid, der 1919 ein Buch mit dem hochaktuellen Titel
Sozialisierung der Wirtschaft oder Staatsbankrott
veröffentlichte, stellte zu diesem Thema bereits vor fast 100 Jahren fest:
»Nur allzu oft arbeitet der Staat bloß dort schlecht, wo man ihn nicht gut wirtschaften lässt, resp. wo man dafür sorgt, dass er schlecht wirtschaften muss, ja dass er genötigt ist, außer für seine eigene Missökonomie auch noch für die der Privatwirtschaft aufzukommen.« 185
Wegen dieser Art der Verstaatlichungspolitik standen die Staatsunternehmen historisch tatsächlich oft für die weniger rentablen oder verlustbringenden Bereiche der Volkswirtschaft. Daraus allerdings die Legende vom Staat als schlechtem Unternehmer zu stricken und die Bedingungen auszuklammern, unter denen diese Verstaatlichungen stattfanden, und die Interessen, denen sie sich unterordneten, ist historisch unseriös und intellektuell unredlich.
Unser Überblick hat vielmehr gezeigt, dass der Staat selbst als Sanierer nicht selten ans Ziel gelangte, wo privates Eigentum nur noch zum Verschwinden der Betriebe und Kapazitäten geführt hätte, dass der Staat als Modernisierer oft außerordentlich erfolgreich war und dass öffentliches Eigentum in der Regel mit deutlich höheren Investitionen und meist auch besseren Arbeitsbedingungen in Verbindung gebracht werden kann.
Von der Quasibehörde bis zum staatskapitalistischen Konzern
Darüber hinaus beweisen die historischen Ausgestaltungen von Staatseigentum – vom gemeinnützigen Energieversorger bis zum profitorientierten taiwanischen Staatskonzern, von der Quasibehörde Bundespost bis zum weitgehend autarken Autobauer Renault – eigentlich nur, dass die Veränderung der Eigentumsform eine riesige Bandbreite an Möglichkeiten eröffnet. Welche dieser Möglichkeiten realisiert wird, hängt von der konkreten Organisationsstruktur der öffentlichen Betriebe, von der Art der staatlichen Einflussnahme und von den Anreizsystemen im Unternehmen selbst ab.
Staatliche Unternehmen können, das zeigt die Erfahrung von Schweden bis China, genauso hohe Profite machen und genauso rücksichtslos renditefixiert wirtschaften wie private. Die Frage ist, ob sie es sollten. Die Frage ist, in welchen Bereichen der Wirtschaft und in welchem Rahmen Gewinnorientierung auch in öffentlichen Unternehmen sinnvollist und wo eine am Gemeinwohl und Gemeinnutz orientierte Preis- und Investitionspolitik am Platze wäre. Die Frage ist, welche Anreize zu welchen Ergebnissen führen
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