Freiheit statt Kapitalismus
der beiden großen Autobauer GM und Chrysler – insolventen Industrieunternehmen mit Steuergeld aus der Patsche helfen und diese sanieren, bis sie wieder auf eigenen Füßen stehen können. In vielen Ländern spielt der Staat als industriepolitischer und auch als eigenständiger industrieller Akteur dauerhaft eine wichtige Rolle.
Dabei fällt auf, dass die industriell erfolgreichen Länder in den letzten Jahren definitiv nicht jene waren, in denen der Staat sich dem neoliberalen Dogma gemäß industriepolitischer Interventionen weitgehend enthalten hat, sondern die, in denen er sich besonders fleißig einmischt. »Ist es aber nicht erstaunlich«, vermerkt der Börsenhändler Dirk Müller in seinem Buch
Crashkurs
, »dass mit China ausgerechnet ein Land der große Überflieger ist, in dem der Staat die Wirtschaft diktiert wie in kaum einem anderen?« 178 Auch andere Länder Südostasiens mit relativ hohen industriellen Wachstumsraten – Südkorea, Malaysia, Singapur und Indien – zeichnen sich nicht durch staatliche Zurückhaltung aus.
In China ist nach wie vor der größte Teil der Unternehmen in staatlicher Hand. Sosehr man die Arbeitsbedingungen in diesen Firmen verurteilen muss, ihr Erfolg erklärt sich keineswegs primär durch Hungerlöhne und extreme Ausbeutung, die vielmehr in allen Entwicklungs- und Schwellenländern gang und gäbe sind. Viel wichtiger ist das dank Staatseigentum extrem hohe Investitionsniveau.
Das Beispiel China zeigt – und nur von diesem Aspekt soll hier die Rede sein –, dass Staatsunternehmen bei entsprechenden Anreizstrukturen ähnlich wirtschaften wie kapitalistische, allerdings nicht dem kurzfristigen Renditedruck von privaten Aktiengesellschaften unterliegen. So erzielten in den ersten vier Monaten 2010 die chinesischen Staatsunternehmen einen Gewinn von umgerechnet 85 Milliarden Dollar. Teile dieses Gewinns stehen dank der öffentlichen Eigentumsform dem Staat zur Verfügung, statt in den Taschen reicher Leute zu verschwinden. Bisher müssen Staatsunternehmen in China 10 Prozent ihrer Gewinne nach Steuern an den Staat abführen, wobei die Regierung plant, diese Gewinnabfuhr zu erhöhen und in soziale Bereiche fließen zu lassen.
Auch viele andere Staatsunternehmen unterschiedlichster Branchen arbeiten hochprofitabel. Die großen staatlichen Stahlwerke in Südkoreaund Taiwan etwa sind seit vielen Jahren effizienter als die meisten privaten Stahlfabriken dieser Welt. Desgleichen hat Schweden viele seiner Staatsfirmen auf Rendite getrimmt, und sie stehen privaten Anbietern an Profitabilität selten nach.
Staatsbeteiligungen sichern Arbeitsplätze
In der EU lag der Staatsanteil an der Wirtschaft Mitte der neunziger Jahre im Schnitt bei 17 Prozent. Erst der Privatisierungswahn der letzten anderthalb Jahrzehnte hat ihn auf unter 10 Prozent gedrückt. Verbunden mit dem Rückzug des Staates sind in der Regel Tendenzen der De-Industrialisierung, die in den neoliberalen Musterstaaten USA und Großbritannien besonders fortgeschritten sind. Wo der Staat noch Industriebeteiligungen hat, haben Beschäftigte meist sicherere Arbeitsplätze und bessere Möglichkeiten, ihren Interessen Geltung zu verschaffen. Denn anders als die Konzernleitung, die nur den Rückhalt der privaten Anteilseigner braucht, sind gewählte Regierungen naturgemäß druckempfindlicher.
So intervenierte der konservative französische Präsident Sarkozy bei dem Autobauer Renault, an dem der Staat auch heute noch Anteile von 15 Prozent hält, mehrfach gegen Produktionsverlagerungen. Die CDC, die staatliche französische Depot- und Sparkasse, die bereits unter Ludwig XVIII. gegründet wurde, ist an rund 250 französischen Unternehmen beteiligt, darunter an fast allen Konzernen, die im Pariser Leitindex CAC 40 gelistet sind. Diese Beteiligungen wurden in Frankreich immer wieder als Mittel der Wirtschaftspolitik – etwa im Abwehrkampf gegen Produktionsverlagerungen oder arbeitsplatzvernichtende Übernahmen – eingesetzt. Auch unter den Beschäftigten deutscher Autobauer brauchen die Arbeiter im Wolfsburger VW-Werk die geringste Sorge vor einer Verlagerung der Produktion zu haben, solange das Land Niedersachsen über das VW-Gesetz eine Sperrminorität an dem Konzern hält. Eine Zustimmung zu einem solchen Schritt könnte sich keine niedersächsische Regierung leisten.
IT-Branche am Subventionstropf
Im Grunde gibt es kein Land, in dem der Staat nicht nach wie vor wirtschaftliche Aufgaben wahrnehmen würde. Die
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