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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sahra Wagenknecht
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das Überleben leichter machten als in anderen kapitalistischen Ländern. Bis heute hat sich aus dieser Zeit ein relativ breiter mittelständischer Unternehmenssektor erhalten, auch wenn dessen Förderung spätestens Mitte der Neunziger von einer rücksichtslos an den Interessen der Großunternehmen und Global Player orientierten Politik abgelöst wurde. Dass sich wichtige Dienstleistungen von Post bis Bahn in öffentlicher Hand befanden und die Kommunen über Stadtwerke, Nahverkehr und Wohnungsbau das kommunale Leben organisierten, galt zu Erhards Zeiten noch als Selbstverständlichkeit.
    In einem entscheidenden Punkt allerdings wurde das ordoliberale Ideal nie eingelöst. Privates Wirtschaftseigentum wurde in der Nachkriegszeit eben nicht nur im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen reaktiviert, sondern auch in der Schwerindustrie, der Chemie und im Automobilbau. Das Gleiche gilt für die großen Banken, deren Entflechtung noch unter Erhard gestoppt und rückgängig gemacht wurde. In all diesen Bereichen handelte es sich um große Konzerne, deren Anteilseigner überdies aufs engste mit der Nazidiktatur liiert waren und von ihr erheblich profitiert hatten. Die Restaurierung dieses schwer belasteten Großeigentums legte den Keim für eine erneute Entstehung von Wirtschaftsmacht, zumal die begünstigten Familienclans ihre wenig freiheitsliebende Gesinnung in den vorangegangenen Jahrzehnten nachdrücklich unter Beweis gestellt hatten.
    Die bundesdeutsche Wirtschaft entsprach daher in etlichen Kernbereichen nie dem ordoliberalen Muster einer Ökonomie, in der vor allem mittelgroße Firmen auf offenen Märkten miteinander konkurrieren, auf denen sie nur durch bessere Qualität oder höhere Produktivität einen Vorsprung vor ihren Wettbewerbern erringen können. Vielmehr entstand mit der Bundesrepublik jener Machtblock von über Kreuz beteiligten, eng miteinander verflochtenen Konzernen und Banken, derin dieser Form bis Ende der neunziger Jahre überlebte und nicht unpassend als Deutschland AG bezeichnet wurde. Müller-Armack wehrte sich auf einer Tagung im Jahre 1954 entschieden dagegen, die bundesdeutsche Realität mit dem Konzept einer sozialen Marktwirtschaft zu identifizieren: »Es ist keine Rede davon, dass ich sage, das faktisch Bestehende sei soziale Marktwirtschaft. Das faktisch Bestehende hat im Sinne der Konzeption der sozialen Marktwirtschaft soziale Wirkungen gehabt. Die soziale Marktwirtschaft ist der Entwurf einer möglichen, bisher nur teilweise realisierten Konzeption. Vieles steht noch aus.« 21
    Insofern sollte man auch die Nachkriegsjahrzehnte nicht idealisieren. Es gab noch in den Sechzigern nicht wenige Menschen, die in Armut lebten, und selbstverständlich war die Bundesrepublik nie eine auch nur annähernd so egalitäre Gesellschaft, wie das von einer im Wortsinn »sozialen« Marktwirtschaft zu verlangen wäre. Der Zugriff auf das wirtschaftliche Eigentum blieb immer Privileg einer sehr schmalen und außerordentlich reichen Oberschicht. Es gab also immer ein Oben und auch ein Unten, und der Lebensstandard der oberen Zehntausend, die sich überwiegend aus den Alteigentümern von Unternehmen, Aktienpaketen und Ländereien rekrutierten, unterschied sich gravierend von dem des Durchschnittsverdieners.
    Zumindest aber wurde das Unten zusehends kleiner, und für die Mitte, die damals der großen Mehrheit der Bevölkerung entsprach, stieg der Wohlstand stetig und spürbar an, wobei jeder für die Zukunft eine Fortsetzung dieses Trends erwartete. Insofern schien die alte Bundesrepublik bis zu Beginn der achtziger Jahre auf dem besten Wege, Ludwig Erhards Versprechen einer Wirtschaftsordnung, »die immer weitere und breitere Schichten unseres Volkes zu Wohlstand zu führen vermag«, 22 tatsächlich einzulösen.
    EU: Mästung von Wirtschaftsmacht
    Als in den Neunzigern der europäische Binnenmarkt liberalisiert wurde, ging das einher mit einer stetigen Verwässerung der Kartellkontrolle. Das blinde Laissez-faire gegenüber Konzernen, die sich durch europaweite Zusammenschlüsse in Wirtschaftsgiganten beispielloser Größe verwandelten, begründete man damit, dass auf einem größer gewordenenMarkt auch größere Anbieter Raum hätten, ohne den Wettbewerb einzuschränken. Das war schon deshalb kein stimmiges Argument, weil Marktmacht nicht erst da entsteht, wo es keinen Wettbewerb mehr gibt, sondern bereits, wenn eine überschaubare Zahl von Unternehmen einen Markt beherrscht. Das ist heute in der EU auf

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