Freiheit statt Kapitalismus
als die Bosse der 500 größten börsennotierten amerikanischen Unternehmen zusammen. Folgerichtig sind heute in vielen Ländern, allen voran in den USA, die Karrierewünsche auf die Finanz- und Beratungsbranche fixiert. Wer richtig Kohle machen will, möchte nicht Ingenieur oder Informatiker werden, sondern »Financial Engineer«, Finanzjongleur.
Als eine Studentin beim Lindauer Treffen der Ökonomie-Nobelpreisträger 2008 angesichts dieser Situation die Frage stellte, ob es nicht eine »Fehlallokation von Talenten« gäbe, erwiderte der Nobelpreisträger und Fondsmanager Myron Scholes breit grinsend: »Ich betrachte mich als einen der schlauesten Menschen und es hat sich als eine hervorragende Entscheidung herausgestellt, dass ich in dieFinanzbranche gegangen bin.« 23 Diese Antwort ist an Zynismus nicht zu überbieten, immerhin hatte Scholes bereits 1998 als einer der Manager des berüchtigten Hedge-Fonds-Giganten LTCM zum ersten Mal mit dem Wohlstand von Millionen Menschen russisches Roulette gespielt. Scholes’ Hedge-Fonds, dessen Beinahe-Zusammenbruch damals die Finanzmärkte erschütterte, war nur dank des Eingreifens der amerikanischen Zentralbank gerettet worden. Was seinen Mitgründer allerdings nicht entmutigte, weiter im Finanzgeschäft sein Unwesen zu treiben. Mit Blick auf seinen persönlichen Reichtum allerdings trifft Scholes’ Aussage uneingeschränkt zu: Niemals hätte er als biederer Universitätsprofessor auch nur einen Bruchteil dessen verdienen können.
Finanzwetten statt Firmenkredite
Nun könnte man meinen, wenn der Finanzsektor derart boomt, sollte zumindest die Kreditversorgung der Wirtschaft weithin gesichert sein. Also auch Maschinenbauer und Hightech-Innovatoren sollten profitieren, wenn Geld in solchem Übermaß vorhanden ist. Pustekuchen!
Denn gerade für die Großbanken, die den größten Teil dieser billionenschweren Liquidität bewegen, gehört die Kreditversorgung der mittelständischen Wirtschaft schon lange nicht mehr zum Kerngeschäft. Orientierung auf das Investmentbanking heißt eben nicht, wie der Name suggerieren könnte, Finanzierung von Investitionen, sondern der Verzicht darauf.
In lobenswerter Offenheit hat Lloyd Blankfein, der Boss von Goldman Sachs, einer der größten international tätigen Investmentbanken, diese Firmenphilosophie im
Handelsblatt
erläutert. Befragt zu seiner Haltung gegenüber dem klassischen Kreditgeschäft, erwiderte Blankfein brüsk: »That’s too risky for me.« Denn dann müsse man das ganze schöne Geld ja in Fabriken, Kanalbauten, Satellitenprojekten anlegen. Da komme man nie wieder raus, zumindest nicht auf die Schnelle, sagte er: »Da bist du gefangen. Nein, bloß nicht, das ist wirklich zu gefährlich für unsere Bank.« 24
Dem höflichen Deutschbanker Josef Ackermann wäre ein solchesBekenntnis nie über die Lippen gekommen, dafür war er viel zu sehr um das Renommee seiner Bank besorgt. In der Sache aber beschreibt Blankfein exakt das Geschäftsmodell, das seit Jahren auch die Deutsche Bank und im Trend ebenfalls die anderen deutschen Großbanken praktizieren. Im Ergebnis ist die absurde Situation entstanden, dass tagtäglich eine Billionenflut von Euros und Dollars um den Globus rauscht, verzweifelt nach Anlage sucht und sich am Ende in Darlehen für erkennbar zahlungsunfähige US-Häuslebauer oder in Kredite für Private-Equity-Heuschrecken verirrt, die Firmen kalkuliert in die Überschuldung hineintreiben. Zugleich haben es solide Kleinunternehmen und selbst Mittelständler zunehmend schwer, ihre Hausbank zu überreden, ihnen den Kauf einer neuen Maschine zu finanzieren.
Viel wurde in Deutschland in den Krisenjahren 2008 und 2009 über eine drohende oder bereits virulente Kreditklemme diskutiert. In Wahrheit ist das Problem sehr viel älter. So haben die privaten Großbanken in Deutschland ihren Kreditbestand gegenüber inländischen Unternehmen, also das klassische Firmenkundengeschäft, bereits zwischen 1999 und Ende 2004 um fast 60 Milliarden Euro zurückgefahren. Der Anteil langfristiger Unternehmenskredite an der gesamten Kreditvergabe sank bei den Großbanken von fast 40 Prozent 1999 auf unter 20 Prozent nach 2004.
Banken als Investitionsverhinderer
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) veröffentlicht einmal jährlich ein sogenanntes Mittelstandspanel, das die Investitions- und Beschäftigungsentwicklung sowie die Finanzierungsbedingungen in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) unter die Lupe nimmt.
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