Freiheit statt Kapitalismus
unternehmerischen Entscheidungen,im schlimmsten Fall mit dem Verlust seines gesamten Vermögens.
Im Rahmen funktionierenden Wettbewerbs und steigender Massenkaufkraft lässt sich dann auch begründen, dass der Marktmechanismus vor allem dahin wirkt, die Produktion an den realen Konsumbedürfnissen der Bevölkerung auszurichten. »Entscheidend für die Marktwirtschaft«, hebt Müller-Armack hervor, »ist die strenge Hinordnung aller Wirtschaftsvorgänge auf den Konsum, der über seine in Preisen ausgedrückten Wertschätzungen der Produktionsbewegung die bestimmenden Signale erteilt.« 18
Viertes Fundament der sozialen Marktwirtschaft:
Gemischte Wirtschaft
Weil sich erkennbar nicht jede Wirtschaftstätigkeit über Wettbewerbsmärkte organisieren lässt, plädierte insbesondere Alfred Müller-Armack für eine gemischte Wirtschaft, in der der Staat in jenen Bereichen selbst tätig wird, in denen andernfalls private Monopole und somit private Wirtschaftsmacht entstehen würden. In deutlichem Gegensatz zu den tumben Verfechtern des »Privat vor Staat« hob er hervor:
»Wenn seitens der Vertreter der freien Wirtschaft die öffentliche Unternehmungsführung schlechthin als Gegensatz zur Marktwirtschaft angesehen wurde, so trifft dies keineswegs zu. Man verkennt hierbei … gewisse Grenzen der marktwirtschaftlichen Organisation, die dort, wo dauernde Kostendegression vorliegt, wo private Monopole bereits entstanden sind oder zu entstehen drohen, oder zur Sicherung gewisser Lenkungspositionen, wie bei der Zentralnotenbank, die staatliche Regie geradezu voraussetzt.« 19
»Kostendegression« meint, dass die Gesamtkosten mit der Zahl der produzierten Einheiten beziehungsweise dem Umfang der Nutzung kaum noch steigen, so dass es volkswirtschaftlich am effizientesten ist, die Leistungen von wenigen, eventuell von einem einzigen Anbieter erbringen zu lassen. Klassische Beispiele sind die elektrischen Überlandleitungen oder die Eisenbahnnetze. Mehrere konkurrierende Elektrizitäts- oder Bahnnetze aufzubauen wäre angesichts der hohenInvestitionskosten Ressourcenverschwendung. Also gibt es in diesen Bereichen ein technisch bedingtes Monopol, und Monopole, darüber waren sich die sozialen Marktwirtschaftler im Klaren, gehören nicht in private Hand.
Ordoliberale versus Neoklassik
Dass unregulierten Märkten eine Tendenz nicht zum Gleichgewicht, sondern zur Konzentration und zur Entstehung marktbeherrschender Oligopole innewohnt, haben die Ordoliberalen wesentlich klarer gesehen als die neoklassische Mainstream-Ökonomie. Letztere versucht stattdessen bis heute, mit komplizierten mathematischen Modellen nachzuweisen, dass freie Märkte auf ein effizientes und stabiles Gleichgewicht hinsteuern.
Das ausgefeilteste neoklassische Gleichgewichtsmodell stammt von den Ökonomen Arrow und Debreu, deren Namen es auch trägt. Dieses Modell ist hochelegant und mathematisch unangreifbar. Angreifbar – und realitätsfern – sind die Annahmen, auf die es sich stützt und ohne die es nicht zu seinen Schlüssen kommen würde. Jeder Marktteilnehmer weiß in einer Arrow-Debreu-Welt über alles, was in der Wirtschaft passiert, Bescheid, einschließlich der exakten Wahrscheinlichkeit künftiger Ereignisse. Die Verkäuferin weiß also, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent in drei Jahren eine Gehaltserhöhung bekommt, während sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent bereits in einem Jahr gefeuert wird. Sie weiß auch, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie in zehn Jahren noch verheiratet oder geschieden oder vielleicht auch schon tot sein wird. Darüber hinaus bekommt jedermann, ob arm, ob reich, in dieser schönen Modellwelt von den Banken unbegrenzt Kredit, um schlechte Zeiten zu überbrücken oder Unternehmen zu gründen, und wer sich gegen unangenehme Schicksalsschläge aller Art versichern möchte, hat auch dazu jede Möglichkeit.
Noch wirklichkeitsfremder sind die Annahmen über die Welt der Unternehmen, auf denen die neoklassischen Gleichgewichtsmodelle beruhen. So gibt es perfekten Wettbewerb und kein Unternehmen hat auch nur den geringsten Einfluss auf die Preise. Das ist nur möglich,weil vorausgesetzt wird, dass die Produktionskosten pro Stück mit steigenden Stückzahlen konstant bleiben oder sogar ansteigen, auf keinen Fall aber sinken. Für den gesunden Menschenverstand mag das ziemlich absurd klingen, aber die Verneinung von Kostenvorteilen steigender Produktionsmengen ist eine fundamentale Annahme der
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