Freiheit statt Kapitalismus
wichtigen Märkten vom Automobilsektor bis zum Lebensmitteleinzelhandel der Fall, von der Energie- oder Wasserbranche ganz zu schweigen.
Wichtiger noch aber ist, dass bei dem Verweis auf größer gewordene Märkte genau jene Frage ausgeklammert wurde, die für die ordoliberale Schule im Mittelpunkt gestanden hatte: die Frage nach den politischen Folgen von Wirtschaftsmacht. Anders als die Märkte waren die Nationalstaaten nämlich nicht größer geworden, sahen sich jetzt aber Konzernen gegenüber, die oftmals gewaltigere Summen bewegten als die Regierungen ganzer Länder. In dieser Mästung von Wirtschaftsmacht lag einer der schlimmsten Geburtsfehler der Europäischen Union, der ihre Entwicklung zum Lobbyverbund der Konzerne, gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, vorgezeichnet hat. Dies gilt in gleichem Maße für die von WTO, G8 und IWF durchgesetzte Variante der Globalisierung, bei der es von Anfang an vor allem um die Absicherung sämtlicher Absatz- und Investitionsfreiheiten global expandierender Unternehmensgiganten ging.
Die Ordoliberalen brauchten die Erfahrung der EU-Binnenmarktliberalisierung und der unregulierten Globalisierung nicht. Ihnen genügte die Erfahrung der Kartell- und Oligopolbildung des frühen 20. Jahrhunderts und ihrer politischen Konsequenzen, um vor den Folgen wirtschaftlicher Macht eindringlich zu warnen. Es ist schon bezeichnend, wie schnell in ihrer Rezeption verdrängt und vergessen wurde, dass es keineswegs nur die Sorge um die Funktionsfähigkeit von Markt und Wettbewerb war, die die ordoliberale Schule für die Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen, für Entflechtung, Monopolaufsicht und strikte Kartellverbote streiten ließ. Mindestens ebenso wichtig war ihnen die Sorge um die Möglichkeit einer von den Interessen der Wirtschaftsmächtigen unabhängigen Politik. Ohne eine solche Unabhängigkeit, das haben sie vorhergesehen, würde und musste aus dem schönen Entwurf einer »sozialen Marktwirtschaft« über kurzoder lang erneut ein ausschließlich profitgetriebener, dem Gemeinwohl hochgefährlicher Kapitalismus werden.
Fazit
Die Politik der bürgerlichen Parteien einschließlich der gewendeten Sozialdemokratie hat mit den Vorstellungen der Väter der sozialen Marktwirtschaft heute in etwa noch so viel gemein wie der alte deutsche Kaiser Wilhelm mit den Ideen der Pariser Kommune. Der einzige Unterschied ist, dass der Monarch nicht im Traum darauf verfallen wäre, sich auf solche Ideen auch noch zu berufen. Wer die Ordoliberalen für die heutige Politik in Haftung nimmt, die keine Unternehmensform so tatkräftig mästet wie den globalen Großkonzern und die die Unterwerfung unter die Diktate machtvoller Wirtschaftslobbys schon so verinnerlicht hat, dass sie es gar nicht mehr zu merken scheint, der hat die Vertreter dieser Schule entweder nicht gelesen oder er betreibt wissentlich ideologische Leichenfledderei.
Leute wie Eucken, Müller-Armack und andere haben eingängig und wortreich vor genau jener fatalen Fehlentwicklung gewarnt, deren Konsequenzen wir heute erleben. Sie haben für ein Wirtschaftsmodell plädiert, das von kleineren und mittleren Unternehmen dominiert wird. Und zwar nicht nur, weil zunehmende Unternehmensgröße in der Regel mit wachsender Marktmacht und der Aushebelung von Wettbewerb verbunden ist. Sondern vor allem, weil sie aus den Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Schluss gezogen hatten, dass der politische Einfluss von Profitinteressen mit der Unternehmensgröße wächst und dieser sich selbst verstärkende Prozess Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihren Grundfesten untergräbt und schließlich zerstören muss.
Das Konzept der sozialen Marktwirtschaft ruht auf vier Grundsäulen: dem Sozialstaat, dem Prinzip der persönlichen Haftung, der gemischten Wirtschaft und der Verhinderung wirtschaftlicher Macht. Die letztere Säule ist die tragende, bei deren Erosion das ganze Gebäude in sich zusammenfällt.
Ludwig Erhards Versprechen lautete: »Wohlstand für Alle.« Nur ein
kreativer Sozialismus
wird dieses Versprechen jemals einlösen können.
UNPRODUKTIVER
KAPITALISMUS
1. Totentanz der Finanzgiganten:
Russisches Roulette auf modern-westliche Art
»Eigentlich ist es gut, dass die Menschen unser Banken-
und Währungssystem nicht verstehen. Würden sie es
nämlich, so hätten wir eine Revolution vor morgen früh.«
Henry Ford, Gründer des gleichnamigen Autokonzerns, Milliardär
Alles sollte
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