Freiheit statt Kapitalismus
gängigen Modelle der Mainstream-Ökonomie.
Der Ertrag zunehmender Unternehmensgröße ist damit gleich null oder negativ. Wenn das stimmen würde, gäbe es eine frühe Grenze für das Wachstum von Firmen und keinen Anreiz für Übernahmen und Zusammenschlüsse, also auch keine Gefahr der Entstehung wirtschaftlicher Macht. Nur: Es stimmt nicht. Die Ordoliberalen hatten das bereits Mitte des 20. Jahrhunderts begriffen.
Tatsächlich wird ein Unternehmen, das bereits eine beträchtliche Größe erreicht hat, in den meisten Fällen auch schneller wachsen als seine kleineren Wettbewerber, weil es diesen gegenüber viele Vorteile hat: Es kann billiger einkaufen, weil es mehr nachfragt und mit dieser Nachfragemacht die Preise drücken kann. Die großen Lebensmittel- und Handelsketten von Aldi bis Metro sind ein Paradebeispiel dafür. Es kann teurer verkaufen, weil mit der Größe auch der Einfluss auf die Verkaufspreise wächst. Es kann sich billiger refinanzieren, weil es als weniger insolvenzgefährdet gilt.
Die Zinsen, die Großunternehmen auf den internationalen Finanzmärkten auf ihre Anleihen zahlen, liegen bei einem Bruchteil dessen, was ein Mittelständler für den Kredit seiner Hausbank blechen muss. Und der größere Mittelständler ist dabei immer noch besser dran als der Kleinbetrieb. Gerade in der industriellen Fertigung gibt es zudem eine Mindestgröße – also auch ein Kapitalminimum –, unterhalb dessen kein Unternehmen in einen Markt einsteigen kann. Deshalb sind Märkte oft nur so lange für Neueinsteiger offen, solange sie im Entstehen begriffen sind. Auf etablierten Märkten gibt es meist eine überschaubare Anzahl von Unternehmen, und Neulinge haben kaum noch eine Chance. Niemand würde darauf verfallen, in der Bundesrepublik einen neuen Autobauer oder Chemiekonzern zu gründen.
Große Unternehmen sind also nicht nur aus dem Grunde rentabler, weil sie in der Lage sind, größere Investitionen zu stemmen, unddaher die produktiveren Anlagen besitzen. Sie sind auch deshalb rentabler, weil sie eine wachsende Nachfrage- und Angebotsmacht auf sich konzentrieren und diese sich zusätzlich in politischem Einfluss niederschlägt.
Wo vier oder fünf oder auch zehn Unternehmen die Entwicklung einer ganzen Branche bestimmen, haben ihre Investitionsentscheidungen, ihre Entscheidungen über Einstellung oder Entlassung, über Betriebserweiterung oder -verlagerung eine derartige Relevanz für das Schicksal ganzer Regionen, dass die Politik sich den Wünschen und Begehrlichkeiten solcher Unternehmen kaum noch widersetzen kann.
Natürlich hängt die Frage der optimalen Betriebsgröße auch von vielen technischen Daten ab, von den Fertigungsbedingungen oder auch dem Grad der Standardisierbarkeit eines Produkts. Big ist nicht überall beautiful. Im Maschinenbau beispielsweise ist die erforderliche Mindestgröße offensichtlich kleiner als im Luftfahrtsektor oder in weiten Bereichen der chemischen Industrie. Aber für alle Bereiche gilt: Mit der Unternehmensgröße steigende Erträge enthalten immer eine Tendenz zum Oligopol, zur Okkupation des Marktes durch wenige Giganten. Perfekter Wettbewerb im Sinne der neoklassischen Theorie ist auf solchen Märkten nicht möglich. Anders gesagt: »Im Sozialismus schaltet der Staat den Wettbewerb aus. Im Kapitalismus müssen auch das die Konzerne noch selbst erledigen.« 20 Dem ist nichts hinzuzufügen, außer dass im vorliegenden Buch ein Sozialismus entwickelt werden soll, für den der zitierte Satz nicht gilt, vielmehr ein
wettbewerbsorientierter
, ein
kreativer
Sozialismus.
Restauration der Konzerne – »Vieles steht noch aus«
Die Realität sah zwar immer anders aus als das ordoliberale Ideal, aber in vielen Fragen wurde die Wirtschaftspolitik der bundesdeutschen Nachkriegszeit tatsächlich von der Leitidee einer sozialen Marktwirtschaft geprägt. Dies betrifft zum einen die Etablierung weitreichender sozialer Netze für Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit. Die beispiellose Nachkriegskonjunktur sorgte für steigende, in den sechziger Jahren sogar für Vollbeschäftigung. Die in diesem Umfeld kampfstarkenGewerkschaften erstritten Lohnerhöhungen, die mit der Produktivität Schritt hielten.
Zum anderen wurde in den Anfangsjahren der Bundesrepublik eine Reihe von Weichen gestellt – von der Etablierung des nach einem strikten Regionalprinzip organisierten Sparkassensystems bis zu vielfachen staatlichen Förderinstrumenten –, die Unternehmen mittlerer Größe
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