Freiheit statt Kapitalismus
und am Nachmittag müsse er dafür sorgen, dass man in der Firma das Gegenteil davon mache, ohne dass sie es draußen merkten.« 73 Das Zitat stammt von 1998. Ob er den Spagat angesichts eines immer drückenderen Übergewichts der Finanzsphäre in den Folgejahren noch durchhalten konnte, ist fraglich.
Freie Manager, verarmte Aktionäre?
Es gibt Theorien, die so gründlich danebenliegen, dass sie zu Recht vergessen werden. Eine dieser Theorien ist die vom »Managerkapitalismus«,die auf der These beruhte, dass mit der Entstehung der Publikumsgesellschaft in Streubesitz das Management erhebliche Freiräume für sein Handeln erhält. Den Gegensatz zur Publikumsgesellschaft bilden Unternehmen mit dominantem Eigentümer, also in der Regel Familienclans, die auch nach dem Börsengang mindestens noch eine Sperrminorität, vielleicht auch die Mehrheit der Aktien halten.
Während in solchen Unternehmen die Prioritäten und Renditeziele von den dominierenden Eigentümern vorgegeben werden und die Manager diese bei Strafe ihres Arbeitsplatzverlusts auch einhalten müssen, wurde von der Theorie des »Managerkapitalismus« eine Abschwächung der Renditeorientierung in Unternehmen mit unsteten, breit verstreuten Aktionären erwartet. Angstvoll wurde damals erörtert, ob denn die Interessen der Anleger in den Unternehmen der Zukunft noch angemessen gewahrt sein werden. Oder ob gierige Manager nicht versucht sein könnten, primär in die eigene Tasche zu wirtschaften oder – schlimmer! – sich die Beute mit den Belegschaften zu teilen, während der arme Aktionär seine ausgedörrten Depots beweint.
Es ist offensichtlich anders gekommen. Und das, obwohl die großen börsennotierten Gesellschaften sich heute tatsächlich überwiegend in Streubesitz befinden, das heißt nur noch in wenigen Fällen ein einzelner Aktionär allein eine Mehrheit hält. Auch die institutionellen Investoren sind einzeln normalerweise nur mit zwei bis drei Prozent, fast nie mit mehr als zehn Prozent beteiligt. Immerhin können nur relativ kleine Anteile jederzeit wieder abgestoßen werden, ohne extreme Kursbewegungen auszulösen.
Woher dann aber das Druck- und Drohpotential, das die ökonomisch fatalen Interessen dieser Anlegergruppe zur herrschenden Managementphilosophie werden lässt? Woher der Zwang, die Unternehmensführung den Launen der Aktienmärkte zu unterwerfen, obwohl diese bereits seit Jahrzehnten keinen müden Dollar oder Euro mehr zur Unternehmensfinanzierung beitragen? Weshalb müssen sich Unternehmen unter solchen Umständen überhaupt um ihren Marktwert an der Börse kümmern? Kann es dem Management nicht egal sein, ob der Kurs gerade überschießt oder in die Tiefe rauscht? Und sollte essich nicht besser mit den Themen beschäftigen, die für Wachstum und Produktivität des Unternehmens relevant sind?
Zuckerbrot und Peitsche
Oder ist es gar kein Zwang, sondern Lust? Tatsächlich gibt es ein Mittel, dank dessen die Börsenlogik den Managern in Leib und Blut eingeimpft werden kann: die Vergütung mit Aktienoptionen. Je größer der Anteil solcher Optionen an den Gesamtbezügen, desto perfekter verschmilzt das Eigeninteresse des Managers mit dem des Finanzinvestors. Denn solche Optionen machen ihren Inhaber umso reicher, je mehr die Unternehmensführung den Vorlieben der Fonds und Analysten schmeichelt. Mit Aktienoptionen wird der Shareholder-Value-Wahn dem Manager zur Herzensangelegenheit. Und da Menschen nun einmal so gestrickt sind, dass sie aus Eigeninteresse viel engagierter handeln als unter Zwang, war und ist der Köder Aktienoptionen in den großen Weltkonzernen seit vielen Jahren ein, in der Regel sogar
der
entscheidende Vergütungsbestandteil des oberen Managements. In deutschen Aktiengesellschaften kamen Aktienoptionsprogramme erst in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre in Mode. Seit der Jahrtausendwende haben sie sich allerdings auch hier nahezu vollständig durchgesetzt.
Es gibt aber nicht nur das Zuckerbrot. Es gibt auch die Peitsche. Seit den neunziger Jahren häufen sich die Beispiele, in denen Hedge-Fonds und andere aggressive Finanzinvestoren in koordinierter Aktion den CEO oder gleich den ganzen Vorstand zum Teufel jagen, weil diese sich nicht bedingungslos genug der Förderung des Shareholder-Value verschrieben haben. Ein Beispiel in Deutschland ist ausgerechnet die Deutsche Börse AG selbst, deren ehemaliger Vorstandsvorsitzender Werner Seifert gehen musste, weil er sich weigerte, den investierten Hedge-Fonds
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