Freiheit statt Kapitalismus
Ende des Booms, hatten die Ausschüttungen mit 28 Milliarden Euro nur unwesentlich höher gelegen. In den USA sind die Dividenden der Konzerne bereits seit Mitte der achtziger Jahre steil angestiegen. Die Praxis wiederum, eigene Aktien zurückzukaufen und so den Anleger steuersparend mit Cash und Kursgewinnen zu verwöhnen, hat dazu geführt, dass der US-Aktienmarkt seit etwa dreißig Jahren keinen müden Dollar mehr zur Finanzierung von Investitionen beiträgt: Seitdem nämlich werden per Saldo mehr Aktien von den Unternehmen zurückgekauft als neue ausgegeben, eine völlige Pervertierung der Funktion, die die Aktienmärkte eigentlich erfüllen sollten. In Deutschland und auch in vielen anderen europäischen Ländern (außer Großbritannien) fing dieses gespenstische Treiben erst Mitte derneunziger Jahre an. Dann allerdings legten die Konzerne richtig los. Während die Investitionsausgaben deutscher Firmen zwischen 1993 und 1999 von 75,6 Prozent des Cashflow auf 60,4 Prozent zusammenschrumpften, stiegen die Ausgaben für Aktien, Investmentzertifikate und Beteiligungen von bescheidenen 1,9 Prozent auf 27,6 Prozent. Als 1998 auch der Rückkauf eigener Aktien legalisiert wurde, der seit 1931 in Deutschland verboten war, starteten viele DAX-Konzerne große Aktienrückkaufprogramme.
Während Aktienrückkäufe und Dividendenerhöhungen dazu beitrugen, die Börsen zum Brummen zu bringen, verblieb immer weniger Geld im Unternehmen, mit dem man Investitionen hätte finanzieren können. In einer Studie aus dem Jahr 2007 weist die Europäische Zentralbank nach, dass europäische Unternehmen, die in den Jahren zuvor eigene Aktien zurückgekauft hatten, im Schnitt deutlich weniger investierten als andere Firmen. Die Konzerne werden damit selbst Teil jenes fragilen Schneeballsystems, das wir bereits im Finanzsektor kennengelernt haben. Weil die versprochenen Renditen mit dem normalen Geschäft trotz Lohndumping, Kostendruck und Steuerarbitrage kaum erwirtschaftet werden können, muss ständig frisches Geld ins System fließen, um die Kurse und Ausschüttungen weiter nach oben zu treiben. Dieses Geld fließt auch über die Kreditaufnahme der Unternehmen, die damit ihre Dividenden und Aktienrückkaufprogramme finanzieren.
Allerdings bildet sich dabei eine gefährliche Schleife: Je höher die Kurse, desto üppiger muss auch die Dividende sein, um die Dividendenrendite wenigstens konstant zu halten. Desto stärker wird somit der Druck, erneut Ausschüttungen aus der Substanz vorzunehmen bzw. über Kredite zu finanzieren. Dass hoch verschuldete Unternehmen auch viel schneller pleite sind, wenn sie einen zeitweiligen Umsatzeinbruch überstehen müssen, oder dann eben Vater Staat auf der Tasche liegen, versteht sich.
Unternehmen als Cash-Kühe – Die Shareholder-Value-Doktrin
Die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebene Strategie der Unternehmensführung lässt sich auf einen kurzen Nenner bringen: Investiere wenig, minimiere die Zahl der Mitarbeiter und drücke derenLöhne, zocke, statt zu produzieren, verschulde dich hoch und schütte alles Geld, das du hast, an die Eigentümer aus. Es ist offensichtlich, dass man auf dieser Grundlage kein Unternehmen dauerhaft erfolgreich führen kann. Auch ist klar, dass diese Ausrichtung bei einer gewissen Verbreitung katastrophale Folgen für die wirtschaftliche Substanz der Gesellschaft haben muss. Peter Drucker, der wohl bedeutendste Managementdenker des 20. Jahrhunderts, hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Gewinne eine »Residualgröße« sind, etwas, was sich einstellt, wenn man seinen Job gut macht, aber niemals ein Selbstzweck und Ziel. Ziel unternehmerischen Handelns könnten nur Innovation und Marketing sein. 66
Dennoch haben wir es beim Shareholder-Value-Gedanken durchaus nicht mit den Fieberphantasien ausgebrannter oder überforderter Manager zu tun, die dem Stress nicht gewachsen waren, sondern mit einer hochgeachteten Theorie der Unternehmensführung, die der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Alfred Rappaport 1986 in seinem Buch
Creating Shareholder Value
entwickelt hat. Kernthese dieses Konzepts ist, dass der Wert eines Unternehmens nicht darin liegt, welchen Nutzen es seinen Kunden oder welche Qualität an Arbeitsplätzen es seinen Mitarbeitern bietet, sondern ausschließlich in seiner Eigenschaft als Cash-Kuh für die Eigentümer. Und selbst das nicht langfristig, sondern jetzt sofort, hier und heute.
Konkrete Produkte, Kunden und erst recht Mitarbeiter
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