Freiheit statt Kapitalismus
die Kriegskasse des Unternehmens auszuschütten. Jeder Topmanager weiß, dass seine Tage gezählt sind, wenn er die Erwartungen seiner Anleger nicht erfüllt, egal, an welchen absurden Parametern sich diese Erwartungen festmachen.
»Wissen Sie, was passiert wäre, wenn ich in den guten Zeiten gesagt hätte, diese Papiere sind gefährlich?«, rechtfertigte der ehemaligeKapitalmarktchef der Dresdner Bank, Jens-Peter Neumann, nach Ausbruch der Krise seine Spekulationsorgien: »Man hätte mich rausgeschmissen.« 74
Generell haben die Finanzinvestoren zwei Optionen, wenn die Rendite in einem Unternehmen nicht stimmt: Sie können Krach schlagen und das Management austauschen. Oder sie können ihre Aktien verkaufen. Letzteres ist aber für die betroffenen Führungskräfte nicht unbedingt angenehmer, vor allem dann nicht, wenn mehrere größere Anleger das Gleiche tun. Denn dann fällt der Kurs und das Unternehmen wird zum lukrativen Übernahmeobjekt. Allein schon aus diesem Grund kann die Börsenbewertung dem Management nie gleichgültig sein. Wer nicht frisst, wird gefressen. Auch wenn die Manager – anders als die Beschäftigten – nach feindlichen Übernahmen in der Regel mit einem goldenen Handschlag verabschiedet werden – ihren Job sind sie los.
Es gibt eine interessante Studie aus dem Jahr 1997, die für den Zeitraum von 1991 bis 1994 die Unternehmensführung in westeuropäischen und angelsächsischen Aktiengesellschaften vergleicht. Damals befanden sich nur die Letzteren in der Situation, jederzeit Objekt einer feindlichen Übernahme werden zu können. In Kontinentaleuropa spielten solche Angriffe noch kaum eine Rolle, weil ihnen in vielen Ländern nationale Regulierungen entgegenstanden, die erst später im Zuge der europäischen Binnenmarktpolitik zerstört wurden. Die Studie zeigt anhand einer Analyse von Bilanzdaten, dass die damaligen westeuropäischen Unternehmen im Schnitt einen höheren Teil der Nettowertschöpfung einbehielten oder als Löhne an die Beschäftigten weitergaben, während die Ausschüttungen an die Anteilseigner etwas bescheidener ausfielen. Typisch für die Verteilungsrelationen der angelsächsischen Unternehmen waren dagegen niedrige Rückstellungen, niedrige Personalkosten und hohe Dividenden. 75 Heute gelten die angelsächsischen Standards auch auf dem Kontinent.
Dass es einen Markt gibt, auf dem nicht nur Aktien, sondern ganze Unternehmen gehandelt werden und selbst große Konzerne zum Objekt feindlicher Angreifer werden können, ist wahrscheinlich das gravierendste Disziplinierungsmittel für das Management und derentscheidende Faktor für den Durchbruch der Shareholder-Value-Doktrin. Malik weist zu Recht darauf hin, dass der Shareholder-Value im Grunde gar nicht für das Handeln
in
Unternehmen entwickelt wurde, sondern für den Handel
mit
Unternehmen. Das Erscheinungsjahr von Rappaports Buch, 1986, fällt insofern nicht zufällig mit der ersten großen Fusions- und Übernahmewelle zusammen. Tatsächlich ist der Marktwert eines Unternehmens »nur interessant für Leute, die das Unternehmen gar nicht betreiben wollen, sondern die es als Ganzes oder in Teilen kaufen beziehungsweise verkaufen wollen. Für die unternehmerische Tätigkeit des Unternehmens selbst, für das eigentliche Wirtschaften also, stellt sich die Frage nach dem Unternehmenswert überhaupt nicht …« 76
Problematisch wird es eben nur, wenn in der Wirtschaft Leute den Ton angeben, die Unternehmen gar nicht betreiben, sondern kaufen und verkaufen wollen. Und wenn diese Leute den Ton angeben können, weil sie dank der Geldmaschine der Banken über das dazu nötige Spielgeld verfügen und täglich neu mit ihm ausgestattet werden. Dann wird auch die sogenannte Realwirtschaft zur Spielbank in einem großen Finanzcasino, und dieses Casino zwingt ihr seine Logik und seine Ziele auf.
Kreative Inseln unter Druck
Niemand behauptet, dass die gesamte Wirtschaft nach den in diesem Kapitel beschriebenen Prinzipien tickt. 99,8 Prozent aller Unternehmen in Europa sind kleine und mittlere, die in der Regel andere Sorgen haben, als Konkurrenten in Südostasien aufzukaufen, auf den Finanzmärkten zu zocken oder die Eigentümer mit kreditfinanzierten Ausschüttungen zu beglücken. Meist sind sie froh, wenn sie einen Bankkredit für die Dinge bekommen, die sie dringend zum wirtschaftlichen Überleben brauchen.
Selbst eine Reihe größerer Unternehmen wirtschaftet anders als hier beschrieben. Es gibt die vor allem von
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