Freiheit statt Kapitalismus
Hedge-Fonds, Investmentfonds und Private-Equity-Gesellschaften, die selbst in jedem Quartal hohe Renditen ausweisen müssen und diesen Druck auf die Unternehmen übertragen. Das bedeutet aber nicht, dass nurUnternehmen, bei denen solche Eigentümer dominieren, sich die entsprechende Managementphilosophie zu eigen gemacht haben. Ihr Beispiel hat Schule gemacht.
Aktienrückkaufprogramme und Ausschüttungsdruck gab es jahrelang auch bei großen Konzernen mit dominantem Familieneigentum wie etwa BMW, das zu fast 50 Prozent den Quandts und Klattens gehört. Finanzakrobatik auf dem Hochseil betrieb im Kontext der geplanten VW-Übernahme auch die Porsche AG, obgleich 100 Prozent der Stammaktien und 13 Prozent der Vorzugsaktien des Unternehmens bei zwei Familienclans, dem der Porsches und der Piëchs, liegen. Auch die Praxis, höhere Schulden aufzuhäufen, als die eigene Firma Umsatz macht, um mit dem geliehenen Geld Monopoly zu spielen, ist keineswegs Börsengesellschaften vorbehalten. Das zeigt der Familienkonzern Schaeffler, der mit einem Bankkredit von 11 Milliarden Euro den DAX-Konzern Conti geschluckt hat und an seiner Beute beinahe erstickt wäre. Unter die Zocker gegangen war auch der schwäbische Milliardär und Eigentümer eines Firmenimperiums mit 100 000 Mitarbeitern Adolf Merckle, der mit riskanten Spekulationsgeschäften 1 Milliarde Euro verlor und dadurch seine Unternehmen in eine ernste Schieflage brachte. Auch Ausschüttungen aus der Substanz sind durchaus nicht nur bei Publikumsgesellschaften oder unter dem Diktat von Private-Equity-Haien angesagt. Der hungrige Milliardärs-Clan der Haniels ließ sich 2009 mit 60 Millionen Euro das Zehnfache dessen als Dividende ausschütten, was die familieneigene Konzernholding im selben Jahr verdient hatte. Und von Siemens über Conti bis zu Henkel und BMW sind sie alle freudig dabei, selbst in Jahren mit Spitzengewinnen Beschäftigte zu tausenden auf die Straße setzen.
Natürlich gibt es Nuancen und auch Unterschiede. Die extreme Kurzfristorientierung, die Fixierung auf Quartalszahlen und Finanzkennziffern wird man in der Regel nur bei Unternehmen finden, die unter der Aufsicht von Finanzinvestoren und Kapitalmarkt stehen. Auch Ausschüttungen unter Auszehrung der Unternehmenssubstanz dürften bei Familienunternehmen zumindest nicht so oft vorkommen wie in den großen Aktiengesellschaften. Aber der Druck, maximale Renditen zu erwirtschaften und an die Eigentümer weiterzugeben,nimmt in familieneigenen Konzernen ebenso zu wie in den börsennotierten Gesellschaften.
Eine an der Privatuniversität Witten-Herdecke entstandene Studie über große Unternehmen, die sich seit mehreren Generationen im Besitz reicher Familienclans befinden, belegt das. In dieser Studie werden die Entwicklung und die Firmenphilosophie einiger Unternehmensimperien in Familienbesitz, unter anderem das der Haniels, der Oetkers, der Brenninkmeyers (C&A) und der Mercks, unter die Lupe genommen. Die Studie kommt zu dem Schluss: »Angesichts einer sich verstärkenden Kapitalmarktkultur ist … die ansonsten bei Familienunternehmen zu findende Geduld gegenüber Nicht-Performern [d. h. Geschäftsbereichen mit geringerer Rendite] überhaupt keine Selbstverständlichkeit mehr.« 79 Denn: »Warum sollte sich jemand, der Unternehmensanteile besitzt, nicht auch wie ein normaler Investor fühlen, der danach trachtet, mit diesem Investment so umzugehen, dass für ihn die höchstmögliche Rendite in möglichst kurzer Zeit herausspringt? Je größer die emotionale Distanz zum eigenen Unternehmen und je loser der Familienzusammenhalt geworden ist, um so wahrscheinlicher ist dieser ›Wertewandel‹.« 80
Der Milliardär August von Oetker, einer der Chefs des gleichnamigen Firmenimperiums, dessen Reichweite von Backpulvern über Finanzdienstleistungen bis zu Schifffahrt und Hotellerie reicht, weist ausdrücklich darauf hin: »Die Rendite muss in jeder Firma stimmen.« 81 Auch bei den Haniels werden Betriebsteile mit unterdurchschnittlicher Rendite rabiat umstrukturiert oder abgestoßen.
Im Grunde lauert die Fratze der Shareholder-Value-Doktrin überall, wo Unternehmen als bloße Anlageobjekte für privates Kapital betrachtet werden. Sie lauert überall, wo Produktion, Innovation und Kundennutzen nur Mittel zum Zweck der Geldvermehrung sind. Ganz gleich, ob es sich bei den Eigentümern dieses Geldes um große institutionelle Investoren, private Aktionäre, giftige Heuschrecken oder der Arbeit im Unternehmen
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