Freiheit statt Kapitalismus
Management eines börsennotierten Konzerns, der keinen stabilen Großaktionär hat, muss also davon ausgehen, dass ein Großteil der Aktien seines Unternehmens mehrmals im Jahr gekauft und wieder verkauft wird.
In Deutschland waren es früher vor allem die Banken, die große Unternehmensanteile besaßen und festhielten. Zum einen, weil sie damals noch keine Investmentbanken waren. Zum anderen aber auch, weil der Anreiz zum Verkauf größerer Aktienpakete in der Bundesrepublik ausgesprochen gering war, da der Verkäufer über die Hälfte seines Gewinns an den Fiskus weiterreichen musste.
Die Finanzhaie brauchten auch hier die SPD-Grüne-Regierung, die diese gute alte Regelung aufhob und Veräußerungsgewinne ab 2002 vonjeder Steuer befreite. Erst jetzt konnte der große Reibach im Spiel mit den Aktien beginnen, ebenso wie der beim Kaufen, Filetieren und Weiterveräußern ganzer Unternehmen. In der Folgezeit trennten sich die Banken von ihren festgefrorenen Aktienpaketen und machten damit steuerfrei Milliardengewinne. An ihre Stelle traten die Investmentbanker, die die Aktien jetzt allerdings nicht mehr festhielten, sondern mit ihnen handelten, sowie die mit Billionen gewappnete Phalanx der institutionellen Investoren. »Hedge-Fonds stürmen Deutschland AG« titelte die
Financial Times Deutschland
Anfang 2005. 70
Heute besitzen institutionelle Anleger auch in Deutschland einen großen Teil der Aktien.
Ihr Interesse ist klar, denn es resultiert aus ihrem Auftrag: maximale Rendite auf das eingesetzte Kapital. Ein Unternehmen, dessen Geschäftspraxis ihren Ansprüchen nicht genügt, das etwa Geld für Langfristinvestitionen verbrät, statt die Dividende zu erhöhen, oder teure Mitarbeiter in Deutschland hält, wo es in China doch viel billigere gibt, wird gnadenlos aus dem Portfolio entfernt. Fredmund Malik hat recht, wenn er darauf hinweist, dass die Shareholder-Value-Doktrin eigentlich eine Share
turner
-Value-Doktrin ist: Ihr Hauptprofiteur ist der Aktienhändler, jener, der Aktien kauft und verkauft und dabei möglichst viel verdienen will.
In der Konsequenz gerieten die Unternehmen, wie der amerikanische Soziologe Richard Sennett es ausdrückt, »unter einen gewaltigen Druck, in den Augen vorbeischlendernder Betrachter schön auszusehen«. 71
Quartalsirre
Es ist das Machtgeflecht der großen Fonds, Investmentbanken, Analysten und Rating-Agenturen, das über den Marktwert der börsennotierten Gesellschaften entscheidet. Und zwar nicht nur einmal jährlich, sondern von Quartal zu Quartal. Eine Aktiengesellschaft, die in einem der großen Indizes wie DAX oder MDAX in Deutschland gelistet ist oder an der amerikanischen Börse zugelassen werden will, ist verpflichtet, vierteljährlich ihre Ergebnisse zu publizieren. Angeblich dient diese Veröffentlichungspflicht der Transparenz. Tatsächlich hat sie jedoch vor allem den Effekt, die Quartalsfixierung der Analysten, Investmentbankerund vieler Fonds auf die Unternehmen zu übertragen. Kurzfristige Managementorientierung heißt damit nicht etwa nur: von Jahr zu Jahr, sondern: von Quartal zu Quartal.
»Die Konzerne ticken im Drei-Monats-Rhythmus und blicken nur in bescheidenem Ausmaß über diese Spanne hinaus«, 72 schreibt Katharina Weinberger.
Unter dem Druck von Finanzanalysten und Fondsmanagern muss möglichst jedes Quartal besser sein als das vorangegangene. Zumindest darf es nie schlechter laufen als in vergleichbaren Unternehmen.
Ein solches Regime verführt fast zwangsläufig zu kreativer Buchhaltung und zur Bilanzierung von Scheingewinnen. General Electric, dessen Chef Jack Welch »predictable earnings« wünschte, schaffte das zum Beispiel, indem pro Jahr mehrere Dutzend Unternehmen ge- und verkauft wurden. Da gab es den nötigen kreativen Bilanzierungsspielraum.
Werden keine Spitzenergebnisse ausgewiesen, fällt der Kurs. Wohlgemerkt, Spitzenergebnisse im Sinne der Analysten und Fondsmanager, die sich nur für bestimmte Kennziffern interessieren. Sie messen die Performance eines Unternehmens nicht an der Zahl seiner Produktinnovationen oder seiner Umsatzentwicklung. Sie messen sie an Finanz- und Börsenparametern, die seine kurzfristige Ertragskraft widerspiegeln.
Katharina Weinberger zitiert in ihrem Buch den CEO eines global operierenden Unternehmens: »Er sagte, er müsse zur Zeit einen Riesenspagat machen, und er wisse nicht, wie lange er das durchhalten könne. Am Morgen müsse er zur Financial Community das sagen, was diese hören will,
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