Freiheit statt Kapitalismus
Schwellenländern ausgeglichen würde. Das ist die Behauptung der Globalisierungsideologen, deren Lehrgebäude der Schweizer Soziologe und frühere UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler zu Recht als »ein einziges großes Täuschungsmanöver« bezeichnet. 98 Denn auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern geht es in erster Linie für die oberen Zehntausend bergauf. Eine im Vergleich zur Bevölkerungszahl schmale Mittelschicht profitiert zuweilen mit – wenn nicht gerade eine Krise wie 1997 in Südostasien alles wieder zerstört, was sie sich über Jahre aufgebaut hat. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist und bleibt abgehängt.
Ein Großteil des Kapitals, das in diese Länder fließt, ist kurzfristig angelegt und kann jederzeit wieder abgezogen werden. Es zerstört dann regelmäßig mehr, als es vorher gefördert hat. Selbst die Direktinvestitionen der großen Konzerne, die Übernahmen und Betriebsverlagerungen in die Billiglohnzonen schaffen vor Ort kaum Wohlstand. Eben wegen dieser Billiglöhne und meist erpresster Steuerfreiheit. Oft zerstören sie gewachsene Strukturen und ruinieren kleinere ortsansässige Anbieter. John Perkins, der jahrelang als »Economic Hit Man« im Dienste großer Konzerne daran mitgewirkt hat, weniger entwickelten Ländern technische Großprojekte aufzuschwatzen, die ihnen vor allem mehr Schulden, den beauftragten Unternehmen aus den Industrieländern aber dicke Profite brachten, kommt aus eigener Erfahrung zu dem Schluss, dass sich manches Land heute in einer viel schlechteren Verfassung befindet, als »bevor wir dem Land die Wunder der modernen Wirtschaftslehre, der Banken und der Ingenieurskunst beschert haben«. 99
Eine wirkliche Globalisierung der Weltwirtschaft hat nie stattgefunden. Stattdessen gibt es, quer über den Globus verstreut, eng abgegrenzte Geschäftsviertel, in denen die großen Unternehmen, Banken,Versicherungen, Vermarktungs- und Vertriebsdienstleister angesiedelt sind. Hier entsteht Wohlstand für die, die es schaffen, dabei zu sein. Für die Mehrheit ringsum wird das Leben oft noch ärmlicher.
»So überzieht die Globalisierung den Planeten mit einem gerippeartigen Netz, das einige große Agglomerationen miteinander verbindet, zwischen denen ›die Wüste wächst‹«, schreibt Jean Ziegler. »Die Realität der globalisierten Welt besteht in einer Kette von Inseln des Wohlstands und des Reichtums, die aus einem Meer des Völkerelends herausragen.« 100
Dieses Meer ist durch die »Globalisierung« größer, nicht kleiner geworden. In 81 Ländern dieser Welt ist zwischen 1992 und 2002 das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen zurückgegangen und die durchschnittliche Lebenserwartung gesunken. Die Unterschiede zwischen den reicheren und den ärmeren Regionen werden ebenfalls größer. Hatten die ärmsten 20 Prozent der Erdbevölkerung vor zwanzig Jahren noch einen Anteil von 2,3 Prozent am Welteinkommen, sind es heute nur noch 1,4 Prozent. 2009 litt weltweit erstmals eine Milliarde Menschen Hunger, das sind so viele wie noch nie. Seit 1945 sind 600 Millionen Menschen verhungert, zehnmal mehr als der Zweite Weltkrieg an Toten gefordert hat. Das alles unter dem Regime einer Wirtschaftsordnung, zu deren Selbstrechtfertigung gehört, wie keine andere auf wechselnde Konsumbedürfnisse reagieren zu können. Aber ist das Bedürfnis, sich satt zu essen, nicht das elementarste aller menschlichen Konsumbedürfnisse? Was ist eine Ordnung wert, die dieses Bedürfnis für eine Milliarde Menschen mit Füßen tritt?
Eine Welt für die Reichen
Das Einzige, was in der ganzen Misere ungebrochen boomt, ist der Absatz der Luxusgüter und Edelmarken. Der sogenannte »World Luxury Index«, also ein Aktienindex für Unternehmen, die ihren Umsatz mit der Oberschicht der Schönen und Reichen machen, erzielt seit Jahren – 2009 ausgenommen – weit überdurchschnittliche Renditen. Keine Branche hat in den letzten Jahrzehnten einen so steilen Anstieg ihrer Jahresumsätze erlebt wie die Luxusbranche.
Es gibt eine interessante volkswirtschaftliche Theorie, deren Kernthese ist, dass in vielen Ländern heute das Wachstum der Gesamtwirtschaft von der Konsumneigung einer kleinen Schicht superreicher Familien bestimmt wird. Der Ökonom und frühere Aktienstratege der Citigroup, Ajay Kapur, nennt solche Gesellschaften »Plutonomien«.
Mit Verweis auf die Verteilungsverhältnisse rät er, sich zur Prognose der Wirtschaftsentwicklung solcher Länder weniger mit den
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