Freiheit statt Kapitalismus
nicht mehr erzielbar war, wurde durch Spekulationsgewinne vorgetäuscht. Das
Profitstück
im Kuchen bekam Blasen. Aber da die Banken damals noch keine Geldmaschine im Keller hatten, mit der sie endlos viel Kreditgeld aus dem Nichts schaffen konnten, kam das Schneeballsystem bald an seine Grenze. 1929 platzte die Finanzblase und das
Profitstück
fiel in sich zusammen wie ein Hefeteig bei Zugluft. Das wurde zum Auslöser für die bis dahin schlimmste Wirtschaftskrise der kapitalistischen Geschichte.
New Deal und Wirtschaftswunder
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der Kapitalismus in den Industrieländern noch einmal für etwa zwei Jahrzehnte seine alte Dynamik zurückgewinnen. Der entscheidende Grund dafür war, dass der Investitionsbedarf über eine historisch einmalig lange Phase sehr hoch blieb und die Profite somit immer wieder rentabel investiert werden konnten. Es gab eine Reihe von Faktoren, die dafür verantwortlich waren.
Zu diesen Faktoren gehörte erstens, dass der Weltkrieg in Europa zerstörte Wirtschaften und zerbombte Maschinen und Anlagen mit immensem Wiederaufbaubedarf hinterlassen hatte. Zweitens war der Kapitalismus wegen der finsteren Kapriolen, die er in den vorangegangenen Jahrzehnten geschlagen hatte, so schwer diskreditiert, dass er sich jetzt, um des eigenen Fortbestands willen, eine Reihe sozialer Regelungen abzwingen ließ. Dazu gehörte eine Lohnentwicklung, die der Produktivität folgte, und ein relativ dichtes soziales Netz, das die Kaufkraft stabilisierte. Steigende Löhne und soziale Leistungen konnten allerdings nur deshalb zur wirtschaftlichen Dynamik beitragen, weil ein dritter Faktor hinzukam: der Umbruch in den Konsumgüterindustrien, die sich gerade anschickten, die Welt mit einer unvorstellbaren Menge an Kühlschränken, Fernsehern, Waschmaschinen und Automobilen vollzustellen. Die steigenden Löhne ermöglichten,dass immer größere Teile der Bevölkerung Zugang zu diesem neuen Konsumstandard erhielten, und der Schwung der ungesättigten, rasch wachsenden Nachfrage verlangte sehr hohe Investitionen, um die nötigen Kapazitäten aufzubauen. Das trug die Wirtschaft in den Industrieländern etwa zwei Jahrzehnte lang.
Schließlich aber waren die modernen Produktionsanlagen aufgebaut, in jedem Haushalt standen ein Fernseher und ein Kühlschrank und vor der Tür der meisten auch ein Automobil. Die Nachfragekurve flachte sich ab und der Investitionsbedarf damit um so mehr. In vielen Bereichen stellte sich heraus, dass die Kapazitäten größer waren als zum Abdecken der verbleibenden Nachfrage nötig. So schwanden die rentablen Investitionsmöglichkeiten und mit ihnen die Profite.
Diese Situation – nicht der Ölpreisschock – war der Ausgangspunkt für die Weltwirtschaftskrise der siebziger Jahre, der bis dahin schwersten nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Folgezeit setzten sich in den meisten Ländern neoliberale Konzepte durch, deren Diagnose der Krisenursachen sich darauf reduzierte, dass das
Profitstück
im Einkommenskuchen zu klein geworden war. Und deren zentrales Ziel darin bestand, es wieder zu vergrößern. Daraufhin setzten all die fragwürdigen Entwicklungen ein, die wir betrachtet haben.
Kochen wie zu Kriegszeiten?
Zunächst wurden die Reichen dadurch reicher gemacht, dass man die Armen ärmer machte. In nahezu allen Industrieländern entstand eine neue Unterschicht, zu einem Leben in bitterer Armut verdammt. Mit ihr kehrten die Suppenküchen zurück, die Tafeln, die karitativen Organisationen, die Obdachlosenasyle. Natürlich hatte es in den Industrieländern auch in den Nachkriegsjahrzehnten immer Menschen gegeben, die in Armut lebten, die gestrandet und aus allen sozialen Netzen herausgefallen waren. Aber das betraf eine kleine Randgruppe. Jetzt wurde daraus eine stabile Schicht von, je nach Land, bis zu 30 Prozent der Bevölkerung. Das untere Drittel der Zweidrittelgesellschaft.
Aber das genügte nicht. Das
Profitstück
wollte weiter wachsen. Also ging der Kapitalismus ab Mitte der Neunziger dazu über, Mehrheitenärmer zu machen. Er trieb das durchschnittliche Lohnniveau nach unten, verwüstete die Existenzgrundlage der Mittelschichten, zerfledderte soziale Leistungen.
Obwohl das Grundgesetz der Bundesrepublik Sozialstaatlichkeit gebietet, sind heute die sozialen Kontraste größer als im Kaiserreich. Lag der Anteil der unteren Hälfte der Bevölkerung am Einkommenskuchen 1913 immerhin bei 24 Prozent, fallen heute für diese Hälfte nur noch 14,9
Weitere Kostenlose Bücher