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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sahra Wagenknecht
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Prozent der gesamten Einkünfte ab. Kassierten 1913 in Deutschland die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung etwa 40 Prozent des Gesamteinkommens, waren es nach der Einkommenssteuerstatistik von 2004 35,8 Prozent. 97 Da große Einkommen aber zu erheblichen Teilen nicht versteuert werden, dürften sich dahinter sogar mehr als 40 Prozent verbergen. Auch in den USA haben die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung heute Zugriff auf etwa 40 Prozent des Gesamteinkommens. Allein das reichste Prozent schafft es, mehr als die Hälfte davon, nämlich 23,5 Prozent der gesamten Einkommen, auf seine Konten zu leiten. Von jedem Dollar, um den das Einkommen in den USA zwischen 1976 und 2007 gewachsen ist, flossen 58 Cent in die Taschen dieser Superreichen.
    Aber nicht nur relativ, auch absolut werden die Lebensverhältnisse von Mehrheiten schlechter. Der durchschnittliche reale Nettoverdienst eines Beschäftigten in Deutschland lag 2006, mitten im Aufschwung, auf dem Niveau von 1986. Zwanzig Jahre Wirtschaftsentwicklung sind an den Beschäftigten ohne den geringsten Wohlstandseffekt vorbeigegangen. Genauer: Sie haben ihn wieder verloren. Im unteren Bereich, in den Hungerlohnsektoren, werden Reallöhne gezahlt, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik allenfalls in den ersten Trümmerjahren gab. Wer von Hartz IV leben muss, wird auf ein Lebensniveau zurückgezwungen, das eines Industrielandes unwürdig ist.
    Inzwischen gibt es Kochbücher extra für Hartz-IV-Empfänger, in denen alte Rezepte aus der Kriegszeit ausgegraben werden, um den Betroffenen Anregungen zu geben, wie man extrem billig immer noch einigermaßen schmackhaft kochen kann. Nichts gegen die Bewahrung alter Kochkultur, aber wo leben wir eigentlich? Kommunen stehen unter Haushaltssperre, schließen Theater, Bibliotheken und Schulen. Das allesin einem der reichsten Länder der Welt, dessen Oberschicht über 4000 Milliarden Euro Geldvermögen auf ihren Konten bunkert.
    Europaweit grassiert der Sparwahn: Renten, Löhne, Bildungsausgaben werden zusammengestrichen. Es ist die Lebensqualität der großen Mehrheit der Menschen, die diesen Kürzungen zum Opfer fällt. In den USA sind über 30 Millionen Menschen auf Lebensmittelmarken angewiesen. Die durchschnittlichen Löhne befinden sich auf dem Stand der fünfziger Jahre. Die Zeltstädte am Rande der Citys, in denen die Obdachlosen und Gestrandeten hausen, aber auch immer mehr Familien, die ihr Haus durch Zwangsversteigerung verloren haben, wachsen. Und viele US-Kommunen stehen vor der Pleite. Sie entlassen Lehrer, Busfahrer und Polizisten, schalten Straßenlaternen ab, in den ersten wird aus Spargründen in der Schule die Vier-Tage-Woche eingeführt. Aussicht auf Verbesserung: keine.
    In der Wirtschaft findet eine schleichende De-Industrialisierung statt. Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der Gesamtbeschäftigung in den USA lag 1989 noch bei 17 Prozent. 2009 arbeiteten gerade noch 9 Prozent der Menschen in Industriebetrieben. Ähnliches findet in Großbritannien statt. 1997, als New Labour mit Tony Blair an die Regierung kam, trug die Industrie noch 20 Prozent zur britischen Wirtschaftsleistung bei. Ende 2009 war dieser Anteil auf 11 Prozent abgesackt. Im Gegenzug boomte der Finanzsektor. Diese Verschiebung der Gewichte ist keineswegs nur die Folge automatisierter Produktion und technologischen Fortschritts. Sie ist vor allem das Ergebnis einer seit Jahren ungenügenden industriellen Investitionstätigkeit. Hintergrund sind auch hier die schrumpfenden Konsummöglichkeiten der großen Mehrheit der Menschen und die damit sinkende Auslastung der Kapazitäten in den Industrien, die Gebrauchsgüter für den Bedarf der großen Mehrheit vom Möbelstück bis zum Küchengerät oder Kinderspielzeug herstellen.
    Das letzte Kapitel in der Geschichte des Kapitalismus zeichnet sich also dadurch aus, dass er die Industrie, die die Basis des materiellen Wohlstands ist und die er groß gemacht hat (wie sie ihn groß gemacht hat), Schritt für Schritt wieder zerstört. Je ungehemmter und unregulierter der Profittrieb wirkt, desto deutlicher wird das. Die angelsächsischenLänder sind den kontinentaleuropäischen in diesem Niedergang weit voraus, aber die Entwicklung geht überall in die gleiche Richtung.
    Die Globalisierungslüge
    Es ist auch nicht so, dass der schwindende Wohlstand von Mehrheiten in den Industrieländern wenigstens durch einen steigenden Wohlstand großer Teile der Bevölkerung in den Entwicklungs- und

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