Freiheit statt Kapitalismus
Clement, der sich für die Profitinteressen der Industrie durch Förderung der Leiharbeit und für die Profitinteressen der Energiekonzerne durch Hinausschieben des überfälligen Atomausstiegs ins Zeug gelegt hatte. Heute verdient der Mann seine Brötchen unter anderem als Aufsichtsrat des Energieunternehmens RWE Power AG und bei Adecco, einem der größten Leiharbeitsanbieter. Auch der ehemalige SPD-Arbeitsminister Walter Riester, der der Finanzbranche mit der Zerschlagung der gesetzlichen Rente und der öffentlich geförderten »Riester«-Rente den großen Reibach verschafft hatte, ist nicht leer ausgegangen. Nach seinem Ende als Arbeitsminister ist Riester durch honorarverwöhnte Auftritte bei diversen Finanzdienstleistern mit Zusatzeinkünften von fast einer halben Million Euro zum bestbezahlten Abgeordneten der Legislatur aufgestiegen. Seit dem 1. Oktober 2009 lebt Riester als Aufsichtsrat des Finanzdienstleisters Union Asset Management Holding ganz von den Einkünften der Branche, die er als Minister am meisten gemästet hatte.
Eine Ebene tiefer werden Verdienste nicht minder großzügig belohnt. Hans Eichels Staatssekretär für Finanzen, Caio Koch-Weser, handelte 2001 in Brüssel den von der privaten Bankenlobby gewünschten Wegfall der Staatshaftung für die Landesbanken aus. 2005 revanchierte sich die Deutsche Bank mit einem gut dotierten Vorstandsposten. Auch Bert Rürup, der als Vorsitzender des Sachverständigenrates kräftig die Werbetrommel für die private Rentenversicherung gerührt hatte, wurde anschließend als »Sonderberater« des FinanzdienstleistersAWD mit goldenen Löffeln gefüttert, bis er schließlich 2009 mit AWD-Gründer Maschmeyer zusammen einen eigenen Finanzdienst auf die Füße stellte. Wir wollen es mit diesen Beispielen bewenden lassen. Sie alle zeigen: Wenn Politiker der Wirtschaftslobby in den Allerwertesten kriechen, mag das vielleicht ihrem öffentlichen Ansehen auf Dauer nicht guttun, ihrer Brieftasche aber allemal.
Minister von Goldmans Gnaden
Es versteht sich, dass Drehtüren von der Politik in die Wirtschaft und die diversen Varianten legaler und halblegaler Korruption kein spezifisch deutsches Phänomen sind. In der heutigen Hemmungslosigkeit und Offenheit hat sich diese Unkultur in der Bundesrepublik vielmehr erst in den letzten zwanzig Jahren herausgebildet. Eines der Länder, in denen die Verfilzung zwischen Politik und Wirtschaft von jeher ungeniert zur Schau getragen wird, sind die USA. Hier gibt es besagte Drehtür in geschmeidigster Form: Man geht aus der Wirtschaft in die Politik und kehrt nach getaner Lobbyarbeit in die Wirtschaft zurück.
Der indische Ökonom Jagdish Bhagwati, der heute an der Columbia University lehrt, hat darauf hingewiesen, dass man in jedem Falle von der Wall Street kommen muss, um das US-Finanzministerium zu führen. Meist ist es die Investmentbank Goldman Sachs, die dem Staat aus ihrem Personaltableau den Finanzminister leiht. Im Unterschied zu deutschen Leihbeamten wird der Minister zwar für die Dauer seiner Amtszeit vom Staat bezahlt. Aber nicht zuletzt, weil das Gehalt eines Finanzministers im Vergleich zur Banker-Gage jämmerlich gering ist, dürfte der Betreffende nie vergessen, wo er herkommt und wo er wieder hinwill. Man sollte sich über mangelnden Regulierungswillen und weichgewaschene Finanzmarktgesetze also nicht wundern. Oder wie Joseph Stiglitz es höflich ausdrückt: »Personen, deren Vermögen oder zukünftige Beschäftigungsaussichten vom Leistungsvermögen der Banken abhängig sind, werden eher der Meinung sein, dass das, was gut für die Wall Street ist, auch gut für Amerika ist.« 111 Zumindest wissen sie, was gut ist für ihre eigene Zukunft.
Eine wichtige Rolle spielen auch andere mächtige Wirtschaftsgruppen. Die Familie Bush und die wichtigsten Führungskräfte der Bush-Regierungentstammten der texanischen Erdölindustrie und haben in diesem Business – im Falle der Familie Bush: seit Generationen – Milliarden verdient. Auch die Rüstungslobby ist unverändert stark und einflussreich. Stiglitz fasst das Machtkartell folgendermaßen zusammen: »Präsident Eisenhower warnte vor den Gefahren des militärisch-industriellen Komplexes. Aber in den letzten 50 Jahren hat sich dieser Komplex erweitert: Zu den Interessengruppen, die maßgeblichen Einfluss auf die amerikanische Wirtschafts- und Sozialpolitik nehmen, gehören die Finanz-, die Pharma-, die Mineralöl- und die Bergbauindustrie. Ihr politischer Einfluss
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