Freiheit statt Kapitalismus
macht eine rationale Politikgestaltung praktisch unmöglich.« 112
Das gilt für Demokraten wie Republikaner gleichermaßen. Zumal es mit dem Zwang, Wahlkampfspenden einzutreiben, ein zusätzliches Disziplinierungsmittel für Politiker gibt. Wem der Geldtopf austrocknet, der hat keine Chance mehr. Auch Obama wäre nicht Präsident geworden, wenn nur die Spenden der kleinen Leute und nicht auch die Großspenden der Wall-Street-Häuser und der Großindustriellen auf seinem Wahlkampfkonto eingegangen wären.
Corporate Welfare
Es ist also nicht nur ein schlechtes Gefühl oder ein böser Verdacht, es ist tatsächlich so: Die herrschende Politik ist heute zu weiten Teilen von der Wirtschaft gekauft. Die Fähigkeit der einzelnen Interessengruppen, ihren Wünschen Geltung zu verschaffen, lässt sich dabei an den politischen Entscheidungen ablesen. Wenige Euro mehr für Hartz-IV-Empfänger, die ihnen mit der anderen Hand schon wieder aus der Tasche gezogen werden, und 31 Milliarden Euro mehr – nach Brennelementesteuer! – für die Atomkraftwerksbetreiber, solche Relationen sind ein Spiegelbild realer Kräfteverhältnisse. Natürlich gibt es ungleich mehr Hartz-IV-Empfänger als Aktionäre der Energiekonzerne. Natürlich bräuchten Erstere das Geld sehr viel dringender als Letztere. Aber das spielt keine Rolle.
Die Hartz-IV-Lobby hat nicht das Geld, Leihbeamte in Ministerien zu platzieren, die dort an Sozialgesetzen mitschreiben. Sie hat nicht dasGeld, ausscheidenden Politikern mit schönen Posten den Lebensabend zu vergolden. Sie hat keinen Zugang zu Wirtschaftskanzleien und keine Mittel für Parteispenden. Sie kann auch nicht mit Abwanderung drohen oder damit, ihre Steuern demnächst auf den Bahamas oder den Kanalinseln zu bezahlen. Die Hartz-IV-Empfänger, wie auch der Normalverdiener, haben nahezu nichts von dem, was man heutzutage braucht, um seinen Interessen Gehör zu verschaffen.
Die Verfilzung von Wirtschaftseigentum, Wirtschaftsmacht, öffentlicher Verwaltung und Gesetzgebung ist längst viel enger, als das mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch einer Demokratie noch irgendwie vereinbar wäre. Die politische Macht ist auf dem Wege, erneut zum Zubehör privater Eigentumstitel zu verkommen. Der soziale Wohlfahrtsstaat wurde abgelöst durch den
Corporate Welfare State
, wie Stiglitz ihn nennt: den Konzernwohlfahrtsstaat.
Feudale Moderne
Das hat mit den Ideen der Väter einer sozialen Marktwirtschaft nichts mehr zu tun, sondern erinnert eher an Verhältnisse aus grauen Vorzeiten. Was beispielsweise den Feudalismus auszeichnete, war ebendiese Identität von Dominium und Imperium, von wirtschaftlichem Eigentum und öffentlicher Gewalt. Der feudale Grundherr war kraft seiner ererbten Stellung nicht nur berechtigt, den Bauern regelmäßige Fronleistungen abzuverlangen, sondern er stand untrennbar davon auch an der Spitze der öffentlichen Verwaltung und war für Rechtsprechung, Polizei und Heeresdienste in seinem Landflecken zuständig. Es bedurfte mehrerer Jahrhunderte und einiger Revolutionen, ehe sich die Menschheit aus diesem Zustand der Knechtschaft und Unterdrückung befreite. Die Grundherren der Moderne, die Eigentümer der großen Industrie- und Dienstleistungskonzerne und der Hochfinanz, scheinen ihren ererbten Anspruch auf Ausbeutung der Arbeitsleistung von Millionen Menschen allerdings ebenso selbstverständlich mit dem Anspruch zu verbinden, auch den politischen Rahmen nach Gusto gestalten zu können.
Demokratie scheint zwar alle vier Jahre stattzufinden, wenn das Wahlvolk zur Urne gerufen wird. Aber das Votum der Wähler entscheidetoffenkundig nur darüber, welche der im Parlament vertretenen Parteien sich in der folgenden Legislatur der Aufgabe annehmen darf, Politik gegen die Mehrheit ihrer Wähler zu machen. Denn genau darin liegt die auffällige Kontinuität, die mindestens die letzten drei Bundesregierungen – ungeachtet aller Farbwechsel von rot-grün über schwarz-rot zu schwarz-gelb – miteinander verbindet.
Die Hintergründe dieser fatalen Entwicklung liegen tiefer als nur in der Käuflichkeit einzelner Politiker, im üblichen Opportunismus oder in der Unterwürfigkeit parteipolitischer Parvenüs gegenüber den Wirtschaftsmächtigen, die so sehr viel reicher sind und so ungleich viel mehr Geld bewegen als sie. Hintergrund sind die realen wirtschaftlichen Machtverhältnisse, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet haben.
Regulatory Capture
»Die Banken waren nicht
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