Freiheit statt Kapitalismus
Wirtschaftseigentum gebiert Übermacht. Die 50 größten Familienkonzerne der Bundesrepublik beschäftigten 2005 zusammen etwa 2,4 Millionen Menschen und stehen für knapp 500 Milliarden Euro Umsatz. Rechnen wir jedem Beschäftigten noch mindestens ein abhängiges Familienmitglied zu, gebieten also 50 Familien über das Schicksal von etwa 5 Millionen Menschen: über ihre Löhne, die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze, ihre Lebensperspektive. In der Liste der größten deutschen Familienunternehmen tauchen auch die vier großen deutschen Medienkonzerne auf: Bertelsmann, Springer, Holtzbrinck und die WAZ-Mediengruppe. Ein Großteil der Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft dieses Landes gehört zu einem dieser Medienimperien. Darüber hinaus haben sie Anteile an mehreren Fernsehsendern und bestimmen über Verlagshäuser mit tausenden Buchpublikationen. Fast die gesamte mediale Meinungsmacht im Privatbesitz einiger Familienclans – was für eine Demokratie!
In anderen Ländern ist das ähnlich. Ohne eigene private Medienmacht hätte es einen Premier Silvio Berlusconi in Italien nie gegeben. Auch die großen Medien in den angelsächsischen Ländern stehenvielfach in direkter Abhängigkeit von privaten Wirtschaftskonzernen. Darauf weist John Perkins hin: »Der Fernsehsender NBC beispielsweise gehört General Electric, ABC gehört zu Disney, CBS zu Viacom, und CNN ist Teil des riesigen AOL/Time Warner Konglomerats. Die meisten amerikanischen Zeitungen, Zeitschriften und Verlage befinden sich im Besitz großer internationaler Konzerne und werden von ihnen manipuliert. Unsere Medien sind Teil der Korpokratie«, 114 also der institutionalisierten Herrschaft der Konzerne. Eine Demokratie ohne unabhängige Medienöffentlichkeit aber kann es nicht geben.
Die alte Adam Smith’sche Idee, dass der Egoismus des einzelnen Produzenten durch den Markt und die Konkurrenz in eine Richtung umgebogen wird, die ihn zum Vorteil aller wirken lässt, setzt voraus, dass der einzelne Anbieter klein und jederzeit durch andere ersetzbar ist. Sie setzt voraus, dass die Folgen von Fehlentscheidungen und Fehlinvestitionen Einzelner für die Gesamtwirtschaft vernachlässigbar gering sind und daher ohne dramatische Konsequenzen vom Markt bestraft werden können. Auf Unternehmen, von deren Personal- und Investitionspolitik die Lebensperspektive hunderttausender Menschen abhängt, die über das Investitionsklima einer ganzen Volkswirtschaft oder über die öffentliche Meinung entscheiden, treffen all diese Kriterien nicht zu. Sie sind längst nicht mehr der »unsichtbaren Hand« des Marktes unterworfen, sondern diktieren mit ihrer äußerst sichtbaren Hand den Staaten die Konditionen. Auch die ihrer eigenen Rettung, wenn es nötig ist.
Wir haben also, um das berühmte Zitat von Michel Foucault abzuwandeln, heute nicht mehr einen Markt unter der Aufsicht des Staates, sondern einen Staat unter der Aufsicht des Marktes. Genauer: unter der Aufsicht jener Unternehmen, die dank ihrer Größe und Reichweite den vielbeschworenen »Markt« beherrschen und auf ihm den Ton angeben. Für diese privaten Wirtschaftsgiganten setzt nicht mehr die Politik die Rahmenbedingungen, sondern sie zwingen staatlichem Handeln den von ihnen gewünschten Rahmen auf und schaffen sich so das ihnen genehme und für ihre Profite optimale Umfeld. Sie kaufen sich die Politik, die sie brauchen und die ihnen nützt.
Politik unter der Kontrolle der Finanzmärkte
Diese Verkehrung der Sachlage, die jeden demokratischen Anspruch mit Füßen tritt, wird von der neoliberalen Politik offen anerkannt und zuweilen sogar als zivilisatorischer Fortschritt gefeiert. Der Klassiker solcher Unterwürfigkeit stammt von dem Ex-Bundesbankchef Hans Tietmeyer, der bereits 1996 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos beklagte, »dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden«. 115
Wir haben im Kapitel über die Banken gesehen, dass sich hinter dem scheinbar anonymen Finanzmarkt in Wahrheit die Anlageentscheidungen einer Handvoll großer Investmentbanken verbergen. Was Tietmeyer also in Wahrheit kritisiert, ist, dass viele Politiker damals noch nicht bereit waren, sich bedingungslos der Kontrolle von einem Dutzend Finanzhaien zu unterwerfen und ihren verfassungsmäßigen sowie den Wählerauftrag aus ihrem Denken und Handeln zu verbannen. In diesem Sinne hat die
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