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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sahra Wagenknecht
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Regeln etwas verschärft. An der Praxis, Mitarbeitern von Konzernen die Möglichkeit zu geben, sich in Behörden einzunisten und dort Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess zu nehmen, hat sich aber nichts geändert. Adamek und Otto führen konkrete Beispiele an.
     
    So schrieb die Flughafenlobby an Gesetzen zur Fluglärmbegrenzung mit und die Energiekonzerne lieferten die entscheidenden Textbausteine für das rot-grüne Energiewirtschaftsgesetz, das sie von jeder ernsthaften Regulierung freistellte. Die Pharmalobby sitzt mit am Tisch, wenn Gesundheitsreformen auf den Weg gebracht werden, die – von Ulla Schmidt bis Philipp Rösler – das drängendste Problem seltsamerweise nie anpacken: die explodierenden Arzneimittelpreise. Die Banker- und Heuschreckenlobby genehmigte sich 2002 per Gesetz die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne. Sechs Jahre später, als das ganze Kartenhaus zusammengebrochen war, waren es wiederum die Banker und ihnen nahestehende Anwälte, die das Bankenrettungsgesetz verfassten, das sie mit milliardenschwerem Steuergeld vor den Konsequenzen ihrer Zockerei bewahrte.
     
    Aber nicht nur die »Leihbeamten« sind ein Weg für die Wirtschaftslobbys, sich Staatsgesetze nach Wunsch zu basteln. In die gleiche Richtung wirkt der ebenfalls seit Kanzler Schröders Zeiten immer stärker in Mode gekommene Trend, die Erarbeitung von Gesetzentwürfen gleich ganz aus den zuständigen Ministerien auszulagern. Statt der Beamten, deren Job eigentlich darin bestünde, solche Vorlagen zu verfassen, werdenmit dieser Aufgabe große Wirtschaftskanzleien wie Freshfield oder Linklaters betraut. Im Unterschied zum Outsourcing in Unternehmen, das in der Regel mit Lohndumping verbunden ist und sich deshalb wenigstens rentiert, lässt sich das staatliche Outsourcing noch nicht einmal mit Spareffekten begründen. Im Gegenteil: Die Wirtschaftsanwälte verdienen das x-Fache eines normalen Staatsbeamten. Aber nicht nur deshalb kommt diese Art der Gesetzschreibung den Steuerzahler teuer zu stehen. Das Hauptproblem ist, dass auf diesem Wege, wie bei dem über »Leihbeamte«, eine sehr spezifische Art von Gesetzen herauskommt. Denn unabhängig davon, ob sie ab und an auch der Staat mit einem Auftrag belästigt, leben die Wirtschaftskanzleien in erster Linie von den Aufträgen großer Unternehmen. Geht es diesen gut, geht es ihnen auch gut. Wenn solche Kanzleien Gesetze verfassen, werden sie diesen Aspekt aufmerksam im Auge haben.
    Dass Gesetze, an denen smarte »Leihbeamte« oder gewiefte Wirtschaftsanwälte mitgewirkt haben, so beschaffen sind, wie Gesetze heute beschaffen sind, muss also niemanden verblüffen. Verblüffend ist höchstens, mit welcher Ungeniertheit in Gemeinwesen, die einmal als Demokratien und Rechtsstaaten konzipiert waren, privaten Wirtschaftslobbys die Hoheit über das Gesetzgebungsverfahren, und damit über einen Kernbereich der öffentlichen Gewalt, übertragen wird. Denn liegt ein Gesetzentwurf erst einmal vor, ist die letztliche Abstimmung im Parlament dank Fraktionszwang und Koalitionsdisziplin fast nur noch Formsache.
    Zuweilen wird zur Rechtfertigung solcher Methoden vorgetragen, es ginge ja nur darum, Sachverstand und Expertise einzuholen. Als ob es eine
neutrale
Expertise gäbe! Öffentlicher Auftrag ist es, Gesetze mit Sachverstand im Interesse des Allgemeinwohls zu schreiben. Fehlt der Sachverstand, muss man ihn sich aneignen. Mangelnde öffentliche Kompetenz durch kompetente Privatinteressen zu ersetzen ist wohl kaum eine adäquate Alternative dazu.
    Der ERT formt sich seine EU
    Auch in der Brüsseler Bürokratie ist das Engagement privater Wirtschaftsvertreter fest institutionalisiert. Die über 10   000 Lobbyisten, diederzeit die belgische Hauptstadt bevölkern, wissen, warum sie da sind, und werden jedenfalls nicht dafür bezahlt, sich in schicken Restaurants im Brüsseler Europaviertel die Zeit zu vertreiben. Vielmehr haben ebenso in Brüssel die Abgesandten von Konzernen und Verbänden offizielle Schreibtische in öffentlichen Behörden, vor allem in der EU-Kommission. Auch dafür führen Adamek und Otto Beispiele an. So wurde die Wirtschaftsberatung KPMG, deren Geschäft darin besteht, Unternehmen beim Steuersparen zu helfen, von EU-Beamten zur Mitarbeit an einer Richtlinie zur Unternehmensbesteuerung eingeladen. Und ein Lobbyist des Chemie-Multis BASF durfte von seinem schönen Büro im Brüsseler Berlaymont-Gebäude 109 aus an der Verwässerung der Chemikalienrichtlinie REACH

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