Freiheit statt Kapitalismus
ganzen Gruppe von wirtschaftlich fortgeschrittenen Ländern verfolgt haben, um sich selbst ihrer Macht zur Kontrolle der ökonomischen Kräfte zu entschlagen …« 116
Es waren die Zauberlehrlinge der neoliberalen Politik, die die multinationalen Wirtschaftsmonster, mit denen wir es heute zu tun haben, aus der Flasche gelassen haben. Und sie wussten, was sie tun. Zumindest hätten sie es wissen können. Ein Blick in die Standardwerke des Ordoliberalismus, auf den sie sich so gern berufen, hätte genügt. Walter Eucken gehörte, wie wir am Anfang dieses Buches gesehen haben, zu den lautesten Warnern vor den gefährlichen Konsequenzen von Wirtschaftsmacht. Bereits mehrere Jahrzehnte vor der neoliberalen »Globalisierung« hatte er darauf hingewiesen, dass wirtschaftliche Macht, einmal entstanden, politisch nicht mehr zu kontrollieren ist. Die zentrale Aufgabe der Politik bestehe somit darin, zu verhindern, dass solche Macht sich herausbilden kann. Andernfalls, so Eucken, hätten Demokratie und soziale Marktwirtschaft keine Chance. Und bei diesen Warnungen hatte der Freiburger Wirtschaftsprofessor deutlichkleinere Träger von Wirtschaftsmacht im Auge als die Global Player unserer Tage mit ihren zwei- bis dreistelligen Milliardenumsätzen und hunderttausenden Beschäftigten.
Koch und Kellner – Wer zahlt, bestimmt das Menü
In Ignoranz solcher Mahnungen wurden die Bedingungen geschaffen für das »strukturelle Primat der Wirtschaft über die Politik«, von dem der Schweizer Publizist Roger de Weck spricht und das er als »noch toxischer als manches ›strukturierte Produkt‹« bezeichnet. 117 Toxisch ist dieses Primat vor allem deshalb, weil es sich ständig selbst verstärkt: Je erfolgreicher das Kartell der Wirtschaftsmächtigen bei der Durchsetzung seiner Interessen, desto mehr wachsen die Geldmittel, über die es verfügen kann. Und mit dem Geld wächst seine Macht, die eigenen Interessen den Gesellschaften auch in Zukunft aufzuzwingen.
Je ärmer und handlungsunfähiger wiederum die Staaten werden, desto weniger haben sie den Konzernen entgegenzusetzen und desto weniger werden sie ihren elementaren Auftrag einlösen: das Allgemeinwohl gegen wirtschaftliche Partikularinteressen zu verteidigen. Wer zahlt, bestimmt das Menü. Wer viel zahlen kann, bestimmt auch viel und hat es besonders leicht, jene zu beeindrucken, die sich all die wunderbaren Dinge aus eigener Kraft niemals leisten könnten. Wer das große Geld bewegt, dirigiert auch die, die auf dieses Geld letztlich angewiesen sind.
Die 20 bestbezahlten Männer und Frauen in US-Unternehmen erhalten vierzigmal so viel wie die 20 höchstbezahlten Führungskräfte im Nonprofit-Sektor und das 200-Fache dessen, was die 20 höchstbezahlten Generäle oder Kabinettssekretäre der US-Bundesregierung beziehen. 118 Selbst der US-Finanzminister verdient nur 200 000 Dollar im Jahr. Die deutsche Bundeskanzlerin geht mit weniger als 250 000 Euro im Jahr nach Hause.
Als den staatlich kontrollierten Banken in Deutschland eine Deckelung der Bezüge in Höhe des mehr als Doppelten eines Kanzlergehalts, nämlich von 500 000 Euro im Jahr, aufgezwungen werden sollte, gab es einen hysterischen Aufschrei der Bankerlobby, mit solchen Hungerlöhnen würden die »besten Talente« vergrault und an die Konkurrenz verloren.Folgerichtig wurde die Regelung großflächig unterlaufen. Politik dagegen kann es sich offenbar leisten, die »besten Talente« zu vergraulen. Für die Wirtschaft ist das von Vorteil: Je bornierter das politische Gegenüber, desto leichter ist es zu steuern.
Diese Passagen sind definitiv kein Plädoyer dafür, in die Politik die gleichen irren Gehälter einzuführen, die an den Spitzen der Privatwirtschaft gezahlt werden. Sie sollen vielmehr darauf hinweisen, dass exorbitante Vergütungen in der Wirtschaft keineswegs nur ein Problem der sozialen Gerechtigkeit sind. Sie sind auch ein Problem für die Demokratie. Wenn diejenigen, die aufgrund allgemeiner Wahlen in ihre Ämter gewählt und mit dem Auftrag versehen werden, die Interessen der Mehrheit der Menschen zu vertreten, ungleich viel schlechter bezahlt werden als die Krösusse der privaten Wirtschaft, ist auch das ein Ausweis für die reale Hierarchie. Das »Primat der Wirtschaft über die Politik« wird einmal mehr zementiert.
Auch die Fähigkeit zu Aufsicht und Regulierung kostet Geld und schwindet mit schwindenden Staatseinnahmen. Die Auszehrung der Staaten durch das Steuerdumping hat seinerseits
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