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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sahra Wagenknecht
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Politik der westlichen Welt in den zurückliegenden fünfzehn Jahren deutliche »Fortschritte« gemacht. Es gibt kaum noch einen Staatsmann oder eine Staatsfrau, die Tietmeyers Kritik heute noch treffen würde.
    Das mag auch daran liegen, dass die Finanzindustrie genügend Möglichkeiten hat, den Staaten die Unterwerfung einzutrimmen. Wer hunderte Milliarden per Knopfdruck von einem Ende der Welt zu einem anderen schicken kann, entscheidet nicht nur über die Entwicklung der Wechselkurse, sondern auch über die Zinsen, die die einzelnen Staaten für ihre Anleihen zahlen müssen. Angesichts horrende wachsender Staatsverschuldung bedeutet ein Zinsaufschlag von ein oder zwei Prozentpunkten für das betreffende Land schnell Mehrausgaben von mehreren Milliarden im Jahr. Griechenland wurde auf diese Weise – nicht wegen der absoluten Höhe seiner Schulden – im Mai 2010 an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht und musste von den anderen Eurostaaten aufgefangen werden. Mit Irland wiederholte sich das gleiche Spiel im November 2010. Portugal, Spanien oder Italien könnten die Nächsten sein.
    Selbst Länder wie Deutschland sind nicht davor gefeit, den Missmut der Finanzgiganten monetär zu spüren zu bekommen. Es geschahzuletzt im Jahr 2005, als die Rating-Agentur Standard & Poor’s damit drohte, die Kreditwürdigkeit der Bundesrepublik herabzustufen, falls die Bundestagswahl einen falschen Ausgang nimmt und das Regierungsprogramm nicht den Wünschen der Wirtschafts- und Finanzlobby entspricht. Eine solche Herabstufung hätte den Bundeshaushalt mit mehreren Milliarden zusätzlicher Zinszahlungen für alle neuen und refinanzierten Schulden belastet. Dazu kam es nicht, weil die schwarz-rote Koalition in ihrem Koalitionsvertrag die Wünsche der Finanzhaie brav berücksichtigte. Nur, wozu hält man dann eigentlich noch Wahlen ab?
    Neoliberale Zauberlehrlinge
    Auch bei der Gestaltung der Steuer- oder Lohnpolitik haben die einzelnen Staaten weitgehend ihre Souveränität verloren. Seit Abbau aller Investitions- und Handelsschranken kennen die Konzernsteuern in den EU-Mitgliedstaaten nur noch eine Richtung: steil nach unten. Das Gleiche gilt für Spitzensteuersätze und Vermögenssteuern. So sind die Steuersätze auf Gewinne von Kapitalgesellschaften in der Eurozone zwischen 1995 und 2009 im Schnitt von 37,5 auf 25,9 Prozent abgesenkt worden. Die Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer fielen von 50,4 auf 42,1 Prozent.
    Die Gründe liegen auf der Hand: Mit dem gemeinsamen Binnenmarkt sind die einzelnen Länder zu konkurrierenden »Standorten« geworden, die das Kapital und seine Inhaber und Verwalter hätscheln und mästen müssen, damit es bei ihnen bleibt: durch Steuervergünstigungen, Subventionen, sinkende Löhne. Die sogenannte »Globalisierung« bewirkt Ähnliches auf internationaler Ebene. Wenn Unternehmen sich aussuchen können, wo sie Steuern zahlen, wo sie investieren und wo sie Arbeitsplätze schaffen, dann entsteht ein Wettlauf der Länder um die lukrativsten Standortbedingungen. Wohlgemerkt: lukrativ für die Konzerne, nicht für die dort lebenden Menschen. Unter dem Druck dieses Dumpingwettlaufs stirbt jede Demokratie.
    Diese Verhältnisse sind nicht die unvermeidbare Konsequenz internationaler Arbeitsteilung oder verbesserter Transport- und Kommunikationstechnologien. Es war die Politik selbst, die die Weichen gestellthat. Die sich mit jeder Finanzmarktregel, die sie abgeschafft, mit jeder Kapitalverkehrskontrolle, auf die sie verzichtet hat, und mit jeder Handelsschranke, die ohne zureichende Harmonisierung der Standards gefallen ist, ein Stück mehr entmachtete. Es waren die großen Industriestaaten, die über die EU, die WTO, die Weltbank und den IWF dafür gesorgt haben, den Konzernen eine beispiellose internationale Expansion zu ermöglichen. Die diesen Unternehmen den optimalen Rahmen geboten haben für ihre Investitionen in Billiglohnzonen, für ihre Übernahmeschlachten, für ihr Steuerdumping, für ihre Umgehung von Sozial- und Umweltstandards. Die »Globalisierung« war kein naturwüchsiger Prozess, sondern ein politisch gestalteter. So lange, bis die Politik jede Gestaltungsmacht verlor.
    Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat das schön zusammengefasst:
     
    »Alles, was man mit dem zugleich deskriptiven wie normativen Namen ›Globalisierung‹ belegt, ist Ausfluss nicht eines ökonomischen Fatums, sondern einer bewussten und vorsätzlichen Politik, welche die … Regierungen einer

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